Kommödchen-Premiere mit Trumps Comeback und Lindners Abgang
Einige Themen des politischen Kabaretts haben neuerdings eine ziemlich kurze Halbwertzeit. Was heute noch stimmt, ist morgen Vergangenheit und klingt wie aus einer anderen Welt. Bei der Premiere des neuen Kommödchen-Programms wurde – in der ersten Hälfte – die Ampel-Koalition noch als politisch instabiler Swinger-Club mit hormonell geprägtem Drang zu wechselnden Partnern beschrieben. In die Pause platzte dann die Nachricht, dass der Chef des Etablissements keinen Bock mehr hat auf die Seitensprünge des Partners und mit der Entlassung des Finanzministers Christian Lindners die Aktionen dieses offenbar an ADHS leidenden Liberalen mit einem finalen Ritalin-Shot beendet.
Was für ein Tag, dachten da nicht nur die Zuschauer. Eingestiegen war man schon mit dem Wahlsieg Trumps und der Aussicht auf ein paar feine Wahlpartys in Washington und Moskau. Dass der Abend noch weitere Überraschungen bringen würde, ahnte da noch keiner. Doch Scholz sei es gedankt: Der Kanzler drehte dem wilden Treiben seiner Ampel den Strom ab und pochte auf monogames Verhalten. Szenen einer Ehe, sozusagen.
Satire? Realität
Ein Glücksfall fürs politische Kabarett: Die Realität holt die Satire ein, überholt sie gar. Martin Maier-Bode, Daniel Graf, Susanne Pätzold und Heiko Seidel konnten ihr Glück kaum fassen: Spontane Programmänderungen sind sie in ihren bisherigen Programmen gewohnt. Aber die Tragweite dieses Premierenabends, das war die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Perfekt arrangiert von diesen Chocolatiers der oft echt ätzenden Kunst des Blicks auf unser Land und den Rest der Welt: Don’t look back, schau lieber nach vorn. Selbst wenn es in naher Zukunft auch nicht gerade freundlich aussieht. Weder im Land noch auf der Welt.
Die Bilanz und der Blick in die Glaskugel sind nur mit Humor zu ertragen. Digitalisierung, die Deutsche Bahn, Cannabislegalisierung, das 3. Geschlecht, Maklerangebot eines Tiny-House in Radevormwald, also nahe Düsseldorf – da können einem schon mal die Augen tränen. Oft vor Lachen, weil wir ja unterwegs sind auf diesem schmalen Grat zwischen Kabarett, Cabaret und Amüsement, wo die Stimmung schnell in Richtung fatalistischer Fröhlichkeit kippt. Motto: Die Lage ist hoffnungslos, aber das dürfen wir bloß nicht ernst nehmen.
Es ist das pralle Leben, voller Tempo konzentriert auf ein paar Quadratmeter Bühne, weitgehend ohne Kulisse: Ein Pult plus TV-Schirm reichen. Kein Problem, weil die Akteure selbst das Bild prägen: Kopfkino wird im wahrsten Sinne des Wortes erzeugt, gespeist von unser aller Erinnerungen und (all-)täglichen Erfahrungen.
Textile Erotikkiller
Wenn Paul, der bislang unbekannte, ebenfalls weiß-perückte Bruder von Karl Lagerfeld heftig mit dem Fächer wedelnd Übergangsjacken, Cargohosen, Hoodies für über 50-Jährige sowie andere textile Erotikkiller geißelt, lacht das an eigene Geschmacksverirrungen erinnerte Publikum vor allem über sich selbst. Den täglichen Wahnsinn des Online-Einkaufens live darzustellen, ist schon deshalb ein Kracher, weil jeder diesen Kampf mit Ki-generierten Verkäufern und Passwortabfragen kennt, es aber noch nie so im Spiegel der Realität gesehen hat.
An Sahra Wagenknecht ist, ganz klar, in diesen Tagen kein Vorbeikommen. Die BSW-Chefin als singenden und tanzenden Dreifach-Klon zum Song „Dance the night“ von Dua Lipa darzustellen – darauf muss man erstmal kommen. Verblüffend, was ein strenges rotes Kostüm, dezenter Schmuck, eine betonierte Frisur und sittsam übereinander geschlagene Beine für ein realistisches Bild ergeben: Die Parteigründerin at her best, in dreifacher Präsenz, auch akustisch:
„Ich bin Sahra! Ich bin so wunderbar, das ist ja sonnenklar
In mich selbst verliebt, schön, dass es mich gibt, schalla lala la laaa.
Uh, das ist meine Zeit, hab mich von den Linken befreit
Find mich selber geil, gehe auf mich steil, bin zu allem bereit.“
Dagegen ist der Kanzler eher eine graue Maus. Ihn anhand seiner Aktentasche darzustellen, geht auch nur, weil Heiko Seidel, die schauspielerische Allzweckwaffe des Kommödchens, selbst einem solchen potthässlichen Ding aus abgewetztem Leder eine Identität einhaucht und es sprechen lässt. Dass sie allerdings sexuelle Gelüste nebst Kinderwunsch hat („Ich will ein Portemonnaie von Dir“) dürfte auch dem vermutlich baldigen Ex-Regierungs-Chef neu sein. Aber für Dietmar Jacobs, Martin Maier-Bode und Christian Ehring, die langjährigen Texter des Theaters, offenbar ein naheliegender Gedanke.
Fazit: Hingehen. Allerdings brauchen Sie viel Geduld. Die meisten Aufführungen sind bis Ende Dezember ausgebucht, hier und da gibt es noch einzelne Plätze. Tickets bekommen Sie hier.
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Mein Porträt der neuen Kommödchen-Chefin Luzie Lorentz finden Sie hier.