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Luxus-Klamotten für die Kleinen – Stylist hilft beim Einkaufen in Düsseldorf

Geld spielt keine Rolle: Eugen Chakhnovitch berät Kinder und deren Eltern auf der Suche nach teuren Labels. Ich bin mitgegangen, weil ich verstehen wollte, warum es so einen wie ihn überhaupt gibt.
Veröffentlicht am 29. August 2023
Eugen Chakhnovitch, Kindermode-Stylist aus Düsseldorf
Eugen Chakhnovitch bei der Arbeit: In einem Geschäft für Kindermode gibt er seinen jungen Kundinnen Tipps. Foto: Markus Luigs

Es wird im Folgenden um die Gedanken und Beobachtungen eines freien Journalisten gehen, also mich, der im besten Fall 2000 Euro im Monat verdient. Brutto. Ich werde über Menschen schreiben, die kein Problem damit haben, diese Summe und mehr an einem Tag für die Kleidung ihrer Kinder auszugeben. Ich bin nicht frei von Neid, so könnte der Vorwurf lauten, vermutlich zurecht, andererseits könnte ich entgegnen, dass der Blick eines Reichen auf Wohlstand ebenso wenig neutral ist. Er hat sich an den Reichtum gewöhnt, ich halte ihn für nicht normal. Trotzdem ist mein Anspruch, alle vorkommenden Personen fair zu behandeln.

Alles begann vor einigen Wochen mit einer Mail, die mir die Redaktion von VierNull weiterleitete. „Gerne würde ich mich bei euch vorstellen“, so begann diese Mail. „Mein Name ist Eugen Chakhnovitch, Kindermode-Stylist aus Düsseldorf. Bereits die Bild, Sat.1 und Co. haben über mich berichtet und das Interesse an Kindermode und Luxus ist immer enorm groß. Würde gerne das Thema mit der Kindermode euch etwas näher bringen und mich über ein Interview mit euch sehr freuen.“

Verlinkt hatte Chakhnovitch einen Beitrag im Sat.1-Frühstücksfernsehen. Darin begleitete er eine Immobilienmaklerin und ihre zwei Töchter beim Luxusklamotten-Shopping für die Kleinen. Eines der Mädchen präsentierte ein Outfit mit Kleid (Dolce & Gabbana), Schuhen (Dior) und Handtasche (Louis Vuitton) für knapp 4000 Euro. Zu sehen war auch ihr begehbarer Kleiderschrank. Chakhnovitch sagte, er hatte auch schon Kunden, die für ein Kleid 12.000 Euro bezahlt haben. Hinzurechnen muss man immer sein Honorar, laut Bericht mindestens 500 Euro. Ich verstand gleich, warum er so gut mit Kindern kann beziehungsweise sie gut mit ihm. Mit seinen hellblonden Haaren und dem jugendlichen Gesicht sah er aus wie ein Nils Holgersson im Körper eines Erwachsenen, er war von ebenso heiterem Gemüt. Bemerkenswert fand ich, was die Immobilienmaklerin über das Luxus-Shopping sagte: „Ich glaube nicht, dass Kinder das brauchen. Ich weiß auch nicht, ob das förderlich ist für später.“ Aber sie wolle ihnen so viel wie möglich bieten.

Nach dem Beitrag fragte ich mich, warum sich Chakhnovitch ausgerechnet an VierNull gewandt hat. Berichterstattung dieser Art kam hier bisher nicht vor. Lass mich damit in Ruhe, dachte ich bei mir. Was soll der Quatsch? Genau deshalb interessierte es mich plötzlich doch sehr. Denn ich wollte Antworten auf die zwei Fragen erhalten, die Ausdruck meines Nicht-Verstehens waren:  Warum kaufen Eltern ihren Kindern Luxuskleidung, obwohl sie spätestens nach einem Jahr aus dem teuren Stoff rausgewachsen sind? Und welche Befriedigung zieht Chakhnovitch daraus, sie beim Shopping zu beraten?

Wir verabreden uns für einen Nachmittag im August in demselben Geschäft, in dem auch das Team von Sat.1 gedreht hat: bei „Barbara Frères für Kinder“, wo es ausschließlich Kinderluxuskleidung zu kaufen gibt. Der Laden liegt selbstverständlich an der Kö, allerdings auf der anderen Seite. Ich stelle mich erst mal vors Schaufenster und studiere die Preise. Eine Jeansjacke ist für 529 Euro zu haben, ein weißes T-Shirt für 339 Euro, eine Badehose für 195 Euro. Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mir meine erste Levi’s kaufte. Ich muss so 13 oder 14 gewesen sein, sie kostete ungefähr 130 Mark. Das war für mich so besonders, dass ich erst als Erwachsener auf die Idee kam, mir selbst eine zu kaufen. Auch dank meiner Mutter habe ich nie einen starken Bezug zu Markenkleidung entwickelt, erst recht nicht zum Luxussegment. Ich besitze zwei Polo-Shirts von Lacoste, die ich aber schon seit Jahren nicht getragen habe, auch aus Sorge, in die falsche Schublade gesteckt zu werden.

Als ich das Geschäft betrete, muss ich immerhin nicht an einem Türsteher vorbei. Den gibt es hier nicht. In den Regalen liegen Pullover und Hosen von Burberry, Givenchy und Gucci. Eine Wand ist gestrichen wie eine Strandkabine, mit Längsstreifen in Babyblau. Die Protagonist:innen sind schon da. Eugen Chakhnovitch, 36 Jahre, 1,94 Meter, und seine Klientinnen, Mutter und Tochter. Er berät die Familie schon seit einigen Jahren. Anfangs hatte die Tochter Größe 128, heute ist es 152. Sie trägt braune Haare, die weit über die Schultern fallen, ein T-Shirt und einen Rock von Burberry, der kurz über den Knien endet. Ihre Mutter sagt, sie seien in diesem Jahr zum vierten Mal mit Chakhnovitch hier. „Mir fehlen oft die Ideen, dann rufe ich den Eugen an und sage, ich komme wieder nach Düsseldorf, kannst du uns ein paar schöne Sachen raussuchen?“

Chakhnovitch, seit knapp zehn Jahren Düsseldorfer, nennt sich nicht einfach Shopping-Berater, sondern ist laut Instagram-Account Kidsfashion Stylist und Kidsfashion Icon. Eine Ikone, die man über eine Hotmail-Adresse buchen kann. Er trägt ein graues T-Shirt, löchrige Jeans und Chucks. Dass das T-Shirt vom schwedischen Label ACNE ist, die Jeans von Dolce & Gabbana und die Schuhe eine Kooperation von Converse mit Comme des Garçons, erfahre ich erst später. Mode ist Chakhnovitchs Leben, wurde es schon früh. Seine Mutter war Schneiderin, sagt er. Er wuchs in Hamburg auf. Mit 18 habe er sich gleich einen Gewerbeschein geholt. „Ich wollte immer einen eigenen Modeladen haben. Ich fand viele Brands toll, Ed Hardy, Philipp Plein, konnte mir das aber nicht leisten.“ Um die Kleidung zum Einkaufspreis zu bekommen, habe er einen Laden eröffnet. Er kleidete sich ein, den Rest verkaufte er. „Es hat ein bisschen als Witz angefangen. Es war sehr, sehr erfolgreich gewesen“, sagt er, der gelernte Einzelhandelskaufmann. Später war er nach eigener Aussage fünf Jahre persönlicher Assistent des Modedesigners Philipp Plein, der mit viel Bling Bling bekannt wurde, wechselte dann zu „Children Worldwide Fashion“, einem französischen Unternehmen, das die Kinderkleidung vieler Luxusmarken verantwortet.

Zu seinen Familienverhältnissen macht er teilweise widersprüchliche Angaben, sodass wir uns darauf einigen, das Thema außen vor zu lassen. Nur so viel: Er hat sich schon für Kinderluxuskleidung interessiert, als er an so was wie eine eigene Familie noch gar nicht dachte. Weil Kinderkleidung bunt ist, weil Kinder immer ehrlich sind. Wenn ihnen ein Kleidungsstück nicht gefalle, sagten sie das. Außerdem stellte er fest, dass Luxusmode für Kinder eine Marktlücke war. „Ich bin zu 90 Prozent Kids fashion“, sagt er.

Die junge Kundin ist heute direkt aus der Schule gekommen, um sich beraten zu lassen. Ihre Mutter arbeitet als Kosmetikerin, ihrem Vater gehört die Hälfte eines Unternehmens. Die GmbH macht laut der Jahresabschlüsse jedes Jahr Gewinne zwischen 270.000 und einer Million Euro. Vor drei Jahren hat die Familie einen Vierkanthof inklusive Land im Kreis Heinsberg gekauft und hält dort fünf fremde und eigene Pferde. Ich spreche die Mutter auf die hohen Preise an. Sie sagt, das sei auch nichts, was ihre Tochter jeden Tag trage. „Damit würde sie nicht zur Schule gehen. Ihr Kleiderschrank besteht nicht nur aus diesen Sachen.“ Die teure Kleidung sei für Feiern oder andere festliche Anlässe vorgesehen. Ich frage das Mädchen, ob sie tatsächlich auch zu H&M gehe. „Ab und zu.“ Die Mutter sagt: „Uns ist es wichtig, dass die Kinder wissen, was man dafür tun muss. Wir sind nicht reich aufgestanden, sondern arbeiten dafür wirklich sehr viel. Die Kinder müssen was dafür tun, den Hund versorgen, die Katzen versorgen, mal die Pferdebox ausmisten.“

Eigentlich war mein Plan gewesen, Chakhnovitch dabei zu begleiten, wie er die Familie berät. Aber ich erfahre, dass er mich zu einem Zeitpunkt bestellt hat, an dem die Beratung fast vorbei ist. Das Mädchen soll mir aber nun ein Outfit zeigen, das sie bereits anprobiert hat. Während sie sich in der Kabine umzieht, rede ich mit den Erwachsenen weiter. Chakhnovitch sagt, zwei Branchen seien relativ krisensicher: Haustiere und Kinder. „Du wirst für die Kinder immer mehr ausgeben als für dich selber“, sagt er.

Aber warum so viel Geld ausgeben für Kleidung, aus denen die Kinder schnell herauswachsen? „Sie lassen sich auch wieder besser verkaufen“, sagt die Kundin. Im Schnitt bekomme sie noch die Hälfte. Im Fall der älteren Tochter ginge die Kleidung sowieso erst mal an die Schwester. „Bei den Sachen kann man es machen. Das hält.“

Das Mädchen kehrt mit einem Wollpullover von Gucci und einem Jeansrock von Balmain zurück. Das Outfit liegt bei 900 Euro, sagt Store-Leiterin Yannica Sha. Allein der Pullover kostet knapp 600 Euro. Die Zwölfjährige ist überzeugt: „Die Farben vom Pulli finde ich sehr schön, der Rock mit den Knöpfen, das ist was anderes.“ Man sieht ihr beim Posieren an, dass sie schon seit einigen Jahren modelt. Sie hat Werbung für Schauma gemacht, 18.500 Follower auf Instagram, wo sie häufig für Produkte wirbt, Luxuspullover oder Reitbedarf, dann an der Seite ihres Pferdes Dream Moon. Das Interesse für Aussehen und Schönheit dürfte von ihrer Mutter geprägt worden sein. Als die Webseite ihres Schönheitssalons noch online war, wurde dort auch eine „Prinzessinnenbehandlung“ angeboten mit Gesichtsmaske- und Massage. „Auch die Kleinsten möchten wie eine Prinzessin verwöhnt werden“, ist dort zu lesen.

Ich verstehe, dass man für Qualität einen hohen Preis zahlen muss, aber müssen es für einen Pullover gleich 600 Euro sein? „Es wird bei den Luxusmarken noch viel per Hand gemacht, viel in Italien produziert“, sagt Chakhnovitch. Er schätzt, dass es diesen Strick-Pullover nur 200 bis 300 Mal gibt. So ein Pullover halte auch länger. Weil man anders damit umgehe, aber auch wegen der Qualität. Zahlt man am Ende nicht bloß für die Marke?, wende ich ein. Die Mutter sagt, das Gefühl habe sie nicht. „Ich denke, dass wir das gleich mitnehmen.“

Das Mädchen probiert noch ein Sommer-Outfit an. Falls sie im Herbst noch mal in den Urlaub fahren, sagt Chakhnovitch. T-Shirt und Rock von Missoni, zusammen knapp 480 Euro. Die Zwölfjährige sagt, sie finde den Rock schön, weil er so schimmert. Chakhnovitch schlägt ihr vor, noch mal den Pullover von Gucci überzuziehen, der passe auch dazu. Ich frage sie, warum es ihr nicht ausreiche, bloß Kleidung von H&M und Zara zu tragen. Sie finde es toll, etwas Besonderes anzuziehen für schickere Anlässe. Es fühle sich auch viel besser an, sehe viel schicker aus. Wie groß ist denn ihr Kleiderschrank? Begehbar sei er nicht, aber eigentlich für zwei erwachsene Personen gedacht. Und was ist, wenn sie erwachsen ist und nicht mehr unbedingt das Geld habe, um teure Kleidung zu kaufen? Wenn’s nicht gehe, wäre das auch nicht schlimm für sie, sagt sie. Sie antwortet stets, ohne lang zu überlegen, so, als sage sie das nicht zum ersten Mal.

Ich bitte Store-Leiterin Yannica Sha, mir das teuerste Kleidungsstück im Geschäft zu zeigen. Sie bringt ein Gucci-Kleid für 1700 Euro. Sie hätten auch Anzüge für Jungen für 2500 Euro. „Ist eine andere Welt“, sagt Chakhnovitch.

„Ist nicht meine“, sage ich.

„Aber auch diese Welt gibt es“, sagt er.

Ich frage ihn, ob er selbst nur Luxusmarken trage. „Ich kann nicht mit H&M ankommen und Luxusmode verkaufen“, antwortet er. Er liebe es ja auch, er sei „komplett ein Qualitätsmensch“. Und schön müsse es sein. „Ich versuche auch mal, ein Hemd bei Zara zu kaufen, aber das passt mir nicht, gefällt mir nicht.“ Wann hat er zuletzt einen C&A von innen gesehen? „Ich glaube, ich habe es schon mal von innen gesehen, weil ich darunter geparkt habe.“ Aber gekauft habe er dort noch nie etwas. „Ich weiß einfach, wie es behind the scenes ausschaut.“  Er wisse, wie in einem italienischen oder französischen Unternehmen produziert werde, er wisse, wie hingegen in China. „Deshalb sage ich mir für mein gutes Gewissen, ich achte darauf, ich gebe dafür mehr Geld aus.“ Er ist sicher, dass es am richtigen Ort ankommt, auch bei den Schneiderinnen landet. Die Kundin sagt: „Wenn man so viel Geld ausgibt, ist es wichtig, dass es auch fair produziert wurde.“

Ich kann in diesem Moment nichts einwenden, weil ich keine Ahnung von der Modebranche habe, aber später überprüfe ich die Aussagen. Man kann das mit den Luxusmarken und dem großen Unterschied zur Massenproduktion auch anders sehen.

„Good On You“ ist eine App und eine Webseite, die tausende Bekleidungsmarken danach bewertet, wie anständig ihre Produktion ist. Gegründet wurde „Good On You“ 2015 in Australien von Aktivist:innen, Nachhaltigkeitsexpert:innen und Branchen-Profis, zu den Unterstützerinnen gehört Schauspielerin Emma Watson. 2021 sagte Gordon Renouf, einer der Gründer, dass die App pro Monat von mehr als einer Million Menschen genutzt werde. „Good On You“ bewertet Marken anhand von drei Kategorien: People (also Arbeitsbedingungen, Lohn, Diversität), Planet (Einfluss auf die Umwelt, dabei geht es auch um Haltbarkeit der Produkte) und Animals (inwiefern tierische Produkte verwendet werden). Vergeben werden jeweils 1 bis 5 Punkte, von „We avoid“, was bedeutet, dass das Unternehmen kaum Informationen rausrücken möchte, bis „great“.

Von den Luxusmarken, die mir beim Termin mit Chakhnovitch begegnen, erreichen nur ACNE, Burberry und Gucci immerhin die mittlere Stufe „It’s a start“ (Das ist schon mal ein Anfang). Gucci stünde sogar noch besser da, wenn das Unternehmen beim Punkt Animals nicht so schlecht abschneiden würde. Bei „It’s a start“ liegen aber auch C&A und H&M. Hingegen landen Dolce & Gabbana, Givenchy, Hermès, Louis Vuitton, Prada, Dior, Chanel höchstens auf den beiden untersten Stufen, häufig schon deshalb, weil sie kaum Auskunft geben, also nicht nachweisen können oder wollen, unter welchen Bedingungen sie produzieren. „Made in Italy“ oder „Made in France“, das hat noch lange nichts zu bedeuten, es besagt nur, dass zumindest die letzten Arbeitsschritte dort gemacht werden. Möglich aber ist, dass Teile der Fertigung in Billiglohnländern erledigt wurden. Doch auch eine Produktion in Europa garantiert nicht, dass Arbeitsrechte eingehalten werden. Die Marken, die bei „Good on You“ die besten Bewertungen erhalten, sind kleine, eher unbekannte Unternehmen, keine einzige der berühmten Luxusmarken.

Die Frage, die ich Chakhnovitch unbedingt stellen will, traue ich mich erst am Ende zu stellen. Woraus zieht er die Befriedigung in seinem Job? Ich sage ihm ehrlich, dass, wenn ich er wäre, am Ende meines Lebens denken würde: Was habe ich gemacht? Ich habe Kinder reicher Menschen eingekleidet. Das würde mir nicht reichen. Er nimmt mir die Frage nicht krumm und erzählt mir von Leuten, die den ganzen Tag am Computer sitzen. „Sind die zufrieden? Ich bin es, weil ich mit Menschen zusammen bin. Wenn die Kundin glücklich ist und mich weiterempfiehlt und auf Instagram erzählt, wie toll alles war, das ist meine Befriedigung. Das macht mir Spaß.“ Ihn macht also glücklich, was jeden Dienstleister glücklich macht: glückliche Kunden.

Aber müsse er sich nicht häufig rechtfertigen, warum er diesem Job nachgehe? Er sagt, er bekomme manchmal auf Instagram negative Kommentare. „Viele aus Neid, weil die eine oder andere Person sich die Kleidung nicht leisten kann. Sie sieht jemanden, die es trägt, und denkt: Ich hab‘ das nicht, warum sollst du es haben?“ Und er hat nicht doch manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn er selbst so viel Geld für Kleidung ausgebe?

„Ich arbeite und dafür möchte ich mich auch belohnen. Will man mit dem Geld irgendwann unter der Erde liegen? Nein.“ Er sagt, für seinen Wohlstand habe er privat auf vieles verzichtet, von seinem Ausbildungsgehalt damals die Miete für den ersten Laden bezahlt, zeitweise dort übernachtet, war nicht viel auf Partys. Er ist überzeugt: „Jeder kann es schaffen.“

Ich sage ihm, dass ich das anders sehe. Dass es sich leicht sagen lasse, wenn man es geschafft habe. Dass andere auch viel opfern und dennoch scheitern, nur höre man nichts von denen. Außerdem bin ich mir nicht im Klaren, wie erfolgreich er tatsächlich selbst war und ist. Von seinen frühen Versuchen als Einzel- und Onlinehändler für Markenkleidung finde ich nur wenige Spuren im Internet, aber nichts, was einen dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg als Unternehmer nahelegt. Im Gegenteil: In einem Fall stoße ich auf das Insolvenzverfahren eines Shops für Markenkleidung. Chakhnovitch war einer der beiden Gesellschafter. Das Insolvenzverfahren wurde mangels zu verteilender Masse (also Vermögen) ohne Schlussverteilung aufgehoben. Ein Sprecher des Hanseatisches Oberlandesgerichts in Hamburg bestätigt mir den Vorgang.

Auch in größeren Medien taucht er selten auf. Bis auf den Beitrag bei Sat.1 und zwei Artikel im „Express“ finde ich über Chakhnovitch sonst nur kürzere Interviews und Berichte in Branchen-Publikationen und auf Nischen-Blogs. Allerdings veröffentlichte Chakhnovitch im Januar 2023 auf seinem Instagram-Account einen Post, in dem er seine Follower fragte, ob sie sein Interview mit der Wirtschaftswoche gelesen hätten. Auf dem dazugestellten Foto war die Heftseite zu sehen. In der Einleitung wird er als erfolgreichster Allrounder in der Kidsfashion bezeichnet wird. Auffällig ist allerdings, dass im Interview geduzt wird und ein Teil seiner Antwort gleich doppelt auftaucht. Ich frage bei der Pressestelle der Handelsblatt Media Group nach. „Im Archiv der WirtschaftsWoche können wir keinen Artikel über oder ein Interview mit Eugen Chakhnovitch finden“, teilt eine Sprecherin mit.

Im Februar, nur einige Wochen später, postete Chakhnovitch eine Insta-Story, versehen mit „@managermagazin“. Es erweckt den Eindruck, als poste er hier eine Heftseite aus dem Magazin, ein Interview, das die Redaktion mit ihm geführt haben soll. Im Kopf der Seite ist „Namen und Nachrichten“ zu lesen, eine Rubrik, die es in dem Magazin tatsächlich gibt, auch hier unterlegt von einem schwarzen Balken. In dem Interview kritisiert er: „Heute beschäftigen wir uns mehr damit, wie wir im Außen wirken, anstatt einfach das zu tun, was wir können und wollen.“ Bloß: Es hat nie ein Interview mit ihm im Manager Magazin gegeben. „Das manager magazin hat nie ein Interview mit Herrn Chakhnovitch geführt“, teilt eine Sprecherin des verantwortlichen Spiegel-Verlags mit.

Als ich den Laden an der Kö nach zwei Stunden verlasse, bin ich mir sicher, dass Chakhnovitch seinen Job als Stylist für Kinderluxusmode gerne und vermutlich auch gut macht. Auf den Instagram-Accounts einiger Kindermodels finde ich später lobende Worte für die Zusammenarbeit. Aber ob das die Selbstbezeichnung „Kidsfashion Icon“ rechtfertigt? Auch angesichts von Artikeln, die so nie veröffentlicht wurden, darf man daran zweifeln. In einer Branche, die sich so aufs Äußere konzentriert, ist der Schein vermutlich umso wichtiger.

Redaktioneller Hinweis

Die Mutter des Mädchens hat uns nach Erscheinen des Textes gebeten, ihre Familie zu anonymisieren. Wir sind diesem Wunsch in diesem Fall nachgekommen. 


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