Mehr als ein Schrank mit Büchern

Literatur und Literat*innen fördern, das ist die Aufgabe des Literaturbüros NRW. Nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern eben auch draußen. Und so ist „Draußen“ ein Schlagwort auf der Homepage des gemeinnützigen Vereins. Klickt man das an, kommt man auch zu der immer länger werdenden Liste der Standorte offener Bücherschränke in der Landeshauptstadt. Diese werden seit 2011 auf Initiative des Literaturbüros und mit Unterstützung des Düsseldorfer Kulturamtes sowie der Bezirksvertretungen (das sind die Stadtteilparlamente) aufgestellt.
Koordiniert wird dieses Tausch-Angebot für Lesestoff im Literaturbüro von Maren Jungclaus. Zu unserem Gespräch am ältesten Bücherschrank am Rheinufer hat sie drei Bücher von Zuhause mitgebracht und stellt sie in den Schrank. Ich hatte ebenfalls vor, heute Bücher zu spenden, konnte mich jedoch mal wieder nicht von ihnen trennen. Maren Jungclaus sieht das dagegen ganz pragmatisch. Sie unterscheidet und ich merke mir: „Es gibt Bücher, die ich nicht mehr brauche. Und es gibt Bücher, mit denen ich lebe.“
Der Bücherschrank gleich neben dem KIT ist an diesem Tag leergeräumt. Manchmal würden Menschen eben Bücher herausnehmen, um sie zu verkaufen. „Das ist natürlich nicht sozial, aber wenn jemand das braucht, dann ist das so“, sagt Maren Jungclaus. Ansonsten gibt es fast nur positive Geschichten rund um die Schränke. Auch eine Liebesgeschichte gehört dazu. So sollen sich am Rheinufer auf der Suche nach Lektüre eine Frau und ein Tourist erstmals begegnet sein. Da sie keine Telefonnummern oder Namen ausgetauscht hatten, wandte sich die Frau an das Kulturamt. Mit Hilfe eines Zettels am Bücherschrank (eine Ausnahme) konnte der Tourist gefunden werden. Die beiden trafen sich wieder.
Dass die Standorte der offenen Schränke sich zu Treffpunkten in den Stadtvierteln entwickelt haben, ist Stadtteil-Initiativen und vielen ehrenamtlichen Patinnen und Paten zu verdanken. Sie kümmern sich darum, dass die Glasscheiben sauber sind, die Bücher ordentlich stehen und achten zudem auf die Inhalte. „Die Bibel ist erlaubt, ebenso der Koran. Aber alles, was ideologisch besetzt ist, nicht“, erklärt Maren Jungclaus. Für die 52-Jährige sind „alte Sachbücher ärgerlich“, das gelte aber nicht für ältere Reiseführer. Die seien viel informativer als die heutigen, die immer mehr auf Top-Ten-Listen reduziert würden.
Der steigende Stahlpreis und das besondere Glas hat die Bücherschränke teurer gemacht. Sie kosten aktuell rund 9000 Euro. Alle Düsseldorfer Exemplare wurden von dem Kölner Architekten Hans-Jürgen Greve entworfen, gefertigt und aufgebaut. Die Vermittlung von Kultur im öffentlichen Raum ist für ihn ein Lebenswerk, mehrere hundert Schränke hat er mittlerweile bundesweit aufgestellt. Und wenn diese in Düsseldorf beschädigt werden, ist er für Reparaturen zur Stelle. Doch ganz anders als bei den inzwischen abgebauten (weil vermüllten) Give-Boxen, sei Vandalismus bei den Bücherschränken kein Problem, sagt Maren Jungclaus.
Eher eingeklemmte Bücher oder Überfüllung verursachen kleinere Schäden. Gerade in den Monaten der Corona-Pandemie haben viele daheim Bücher aus- und in die öffentliche Schränke eingeräumt. Ein besonderer Pate hat übrigens alle Standorte im Blick. Er fährt sie nacheinander mit dem Fahrrad ab und sorgt dafür, dass alle Schränke gleich gut bestückt sind. Die Literatur in den meisten unterscheidet sich kaum. Allerdings hinterlassen die Tourist*innen am Rhein oft fremdsprachige Bücher, was an die Regale in Hotels oder Cafés weltweit erinnert. Im Schrank in Oberkassel findet man japanische Werke, rund ums Friedensplätzchen scheint es eine frankophile Gruppe zu geben. „Einen Simmel aber findet man fast immer und überall“, sagt Maren Jungclaus.
Sie hat in Bonn Komparatistik (vergleichende Literaturwissenschaft), Germanistik und Kunstgeschichte studiert, hatte an der Universität dort eine Stelle, wollte aber lieber in die Praxis gehen. Die Praxis, das bedeutet für sie, grenzüberschreitende und internationale Literaturprojekte zu organisieren, Schnittstellen zu finden, so zwischen Literatur und Mode oder zwischen Literatur und Kunst. Die Geisteswissenschaftlerin moderiert Veranstaltungen, gerne auch an einem der Bücherschränke, mehrere sind im Sommer geplant. Was im Rahmen der aktuellen Corona-Regeln stattfinden kann, wird auf der Webseite des Literaturbüros veröffentlicht.
Die Bücherschränke sind Orte des Gebens und Nehmens, des Tauschs und des Austauschs. In Düsseldorf wird es weitere geben. „Wir mussten uns nach immer neuen Anfragen überlegen, ob das Projekt etwas Rares bleibt, oder ein gewöhnliches Stadtmöbel wird, wie zu Hause Tische und Stühle“ – so beschreibt Koordinatorin Maren Jungclaus die Entwicklung.
Dass es noch mehr werden, ist auch Sponsoren zu verdanken. Ein solcher ist ein Mann, der in Bonn lebt, aber Düsseldorf etwas Gutes tun möchte. 20 000 Euro spendet er für zwei neue Bücherschränke. Einer wird im Berty-Albrecht-Park das Quartier Central bereichern. Über den Anruf des Spenders hat sich Maren Jungclaus sehr gefreut: „Man kann sein Geld auch schlimmer ausgeben.“
Das wird auch den Schrank-Architekten Hans-Jürgen Greve so sehen, mit einem Zitat von ihm und seiner wunderbaren Beschreibung soll dieser Artikel enden: „Die Orte verändern sich, an denen die Bücherschränke stehen. Es ist das Tauschen, das uns fasziniert. Der Austausch der Bücher und der Blicke. Hier dürfen wir uns ansprechen. Auch ohne, dass ich einen Hund habe, darf ich am Schrank einfach mal mit jemandem in Kontakt treten. Ohne Vorwarnung ins Gespräch gehen. Was wird daraus? Einfach nur ein flüchtiger Kontakt oder mehr? Das sind die noch ungeahnten Qualitäten der neuen Orte. Es erinnert uns an die Brunnen, an denen, als es noch kein Wasser in den Häusern gab, das soziale Leben des gesamten Viertels stattfand.“
Weiterführende Links
Mehr Infos zum Literaturbüro NRW und den Standorten der Bücherschränke sind hier zu finden.
Ein virtueller und poetischer Rundgang zu den Offenen Bücherschränken des Düsseldorfer Künstlers Miu.
Mehr Infos zu Hans-Jürgen Greve gibt es hier.