Nie mehr „Wir treffen uns vor Mäckes“
Wir nähern uns dem Phänomen auf einem Umweg: Vor acht Jahren gab es eine Facebook-Gruppe mit dem Namen „Dinge, die ein Düsseldorfer nicht sagt“. Einer der Sätze, die damals dort aufgeführt waren, lautete „Wir treffen uns vor Burger King“. Das sagen Düsseldorfer:innen nicht, weil sie sich, wenn sie in die Altstadt gehen und einen Treffpunkt suchen, vor McDonald’s an der Ecke von Bolkerstraße und Heinrich-Heine-Allee (offizielle Adresse: Neustraße 16) verabreden. Dass das Gegenteil in der Liste der ungesprochenen Sätze auftaucht, zeigt, welche Bedeutung das Ritual hat. Seit mehreren Jahrzehnten, mindestens seit den Neunzigern, warten Altstadtbesucher:innen vor dem Fast-Food-Restaurant auf Freunde und den Anfang des Abends. Aber wohl nicht mehr lange.
Das Ritual wird enden, wenn wahr wird, was diesen Monat als wahrscheinlich wahr berichtet wurde. Die Kolleg:innen vom „Express“ haben geschrieben, dass McDonald’s die Bolkerstraße weiter runterziehen möchte, in das ehemalige Maredo-Restaurant zwischen „Goldenem Kessel“ und Neanderkirche. Dort wäre das Unternehmen mehr im Zentrum des Geschehens und würde der benachbarten Konkurrenz von Burger King und KFC sicher den einen oder anderen Gast wegschnappen. Aber es wäre dann eben auch nicht mehr der Treffpunkt der Altstadt.
So viel ist klar: Die Verabredeten werden nicht mit umziehen, denn es hat nichts mit der Firma McDonald’s zu tun, dass man dort zusammenkommt. Was dagegen überhaupt nicht klar ist: Warum kommt man ausgerechnet dort zusammen? Warum nicht vor Optik Ziem, dem Modeladen (den ich erstmals im Zuge der Recherche für diese Geschichte überhaupt bemerkt habe) oder der Apotheke? Warum nicht an der Flinger Straße, am Grabbeplatz oder vor der Kunstakademie? Selbst an der Ratinger Straße gibt es nichts Vergleichbares. Da geht man einfach in die oder vor die Kneipe seines Vertrauens.
Die Neustraße 16 ist ein sehr demokratischer Ort. Dort treffen sich alle, nicht mit-, aber nebeneinander. Dort kommen Kreise von Jungs und Kreise von Mädchen zusammen, wild gemischte und vorher ungeahnte Gruppen, dort wartetet ein Dutzend auf den einen, der zu spät ist, ebenso wie der Einzelne darauf, dass überhaupt jemand auftaucht. Hier haben wirklich wichtige Verabredungen begonnen, und hier endeten auch letzte erste Dates.
Interessanterweise trifft man vor McDonald’s nie Menschen aus ferneren Städten. Der Jugendgesellinnensabschied aus der Pfalz und die Kolleg:innen, die zusammen auf einer Messe arbeiten, verabreden sich nicht dort. Es ist ein Ort für Düsseldorfer:innen im weiteren Sinne, also natürlich auch für Leute aus Meerbusch, Erkrath und Langenfeld. Es handelt sich also nicht um einen Reflex, der allen Menschen zu eigen ist. Es muss vielmehr etwas sein, das tiefer in der rheinischen Seele liegt, eine Erfahrung, eine Sozialisation, die man nur hier gemacht haben kann.
Je länger ich über das Phänomen nachdenke, desto erstaunlicher wirkt es: Man trifft sich auch vor McDonald’s, wenn es da längst voll ist. Man stand dort bisweilen in Gruppen, mit denen man gar nicht verabredet war. Man blieb sogar, als die Hoffnung, dass die Verabredung noch kommt, längst die letzte Bahn genommen hatte. Und der Satz „Du stehst da wie bestellt und nicht abgeholt“ scheint genau dort erfunden worden zu sein.
Ganz sicher kein Grund für das Ritual war das Essen. Die wenigsten trafen sich vor McDonald’s zur Nahrungsaufnahme. Okay, wenn man den ganzen Freitag oder Samstag noch gar nichts gegessen hatte, dann vielleicht. Aber in aller Regel betrat man das Restaurant erst zu einem Zeitpunkt, zu dem es nicht mehr um die Frage ging, ob Elektrolyte einem das Leben retten, sondern nur noch in welcher Darreichungsform. Und das konnte dann eben auch ein Cheeseburger sein. Oder zehn.
Es ist auch mathematischer Unsinn, sich vorne an der Bolkerstraße zu treffen. Der Punkt liegt nicht in der Mitte, nicht gleich weit von allen potentiellen Zielen entfernt. Er liegt mitten am Rand.
Am Ende erscheint mir eine profane Erklärung einleuchtend: Es ist immer hell, weil das Restaurant immer auf hat oder frühestens schließt, wenn die Sonne schon nah ist. Das war früher gar nicht so unwichtig. Als Gesichter noch nicht vom blauen Handylicht beleuchtet wurden, brauchte man andere Quellen, um einigermaßen sicher zu sein, dass das da auch die Person ist, mit der man verabredet ist. Stell dir vor, dein Abend beginnt damit, dass du jemanden ansprichst, den du gar nicht kennst und mit dem du nicht verabredet bist. Diese Sorge hat sich zwar durch die Smartphones längst erübrigt. Aber Rituale werden ja oft weitergegeben und weitergegeben, obwohl diejenigen, die sie weitertragen, schon längst nicht mehr wissen, warum sie einen Brauch pflegen oder wie dieser entstand. So einfach könnte es in diesem Fall wirklich sein.
Aber sogar wenn das ewige Licht die Erklärung ist, war der Mäckes-Moment ein flüchtiger. Man blieb nicht. Es gibt keine Geschichten, in denen eine Runde den ganzen Abend vor McDonald’s stand. Mäckes ist immer ein Anfang. Im Zweifel von einem schnellen Ende.