Rock’n’Roll will never die – aber in Düsseldorf geht es ihm nicht gut
Der Pitcher verschiebt ein Konzert und bleibt an einem Samstag geschlossen, damit seine Gäste einen anderen Club besuchen können. Dieser auf den ersten Blick ungewöhnliche Moment hat sich diese Woche in Düsseldorf ereignet. Andreas „Andy“ Kalus, Chef des Pitcher an der Oberbilker Allee, erklärte den Schritt auf Facebook so: „Eine absolut wichtige Institution Düsseldorfs schließt – das The TUBE – eine Katastrophe für die Szene, den Underground, die Livemusiklandschaft… einfach eine Katastrophe. Am 10.06. „feiern“ die Mädels und Jungs ihr Closing und wir möchten, dass so viele Menschen wie möglich dorthin pilgern und dem Team einen Abschied (hoffentlich auf Zeit) von Welt bescheren. Deswegen verschieben wir unsere für den Tag geplante Show auf den 02.03.24, lassen am 10.06. unsere Hütte zu, verneigen uns in Freundschaft und wünschen dem Team schnellen Erfolg bei der Suche nach einem neuen Objekt.“
The Tube selbst hat diesen letzten Abend an der Kurze Straße unter den Titel der schwedischen Band Europe gestellt: The final countdown. Nach mehr als zwölf Jahren und über 1000 Bands gibt es am Samstag ab 20.15 Uhr eine Abschiedsparty, bei der die DJs die besten/wichtigsten/schönsten Songs spielen, die mit dem Club in der Altstadt verbunden sind. Noch eine Abteilung härter nostalgisch wird die Tombola des Abends. Dabei kann man Erinnerungsstücke des Tube gewinnen und nach Angaben der Veranstalter:innen keine Niete ziehen. Das letzte Konzert im Tube bestreiten heute Abend (9. Juni) Metzger Butcher und Nichts für Ungut.
Das Ende des Tube kursierte schon als Gerücht, das tatsächliche Aus kam in der zweiten Mai-Hälfte dennoch überraschend oder mindestens kurzfristig. Die Juni-Konzerte finden noch an der gewohnten Adresse statt, für Juli geplante Auftritte werden in den Ratinger Hof verlegt, hieß es in der Mitteilung.
Für die Düsseldorfer Musikszene bedeutet das einen harten Einschnitt. Große Konzert-Orte gibt es hier ausreichend: die Mitsubishi Electric Halle, den Dome und die Arena. Aber in der Größenordnung für 100 oder 150 Zuschauer:innen schrumpft die Zahl der Möglichkeiten. Für Fans bedeutet das, dass sie für Club-Konzerte immer häufiger nach Köln fahren.
Ich habe deshalb mit Veranstalter:innen, Musiker:innen und Fans gesprochen, wie sie die Lage bewerten und wo man in Zukunft auf Livemusik hoffen kann. Die Recherche ergab weitere besorgniserregende Entwicklungen, aber auch vorsichtigen Optimismus.
Wo stehen weitere Einschnitte zu befürchten?
Haus der Jugend: Die Lacombletstraße in Düsseltal war über viele Jahre eine sichere Adresse, wenn man Künstler:innen und Bands erleben wollte, die später in noch größeren Hallen auftreten. Im Sommer 2020 war damit vorerst Schluss, weil das Haus der Jugend abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde. Der wurde im September 2022 eröffnet – und bereitet denjenigen, die seitdem dort waren, wenig Freude. Der Raum sei schick, aber für Rockkonzerte ungeeignet, sagen sie. Man habe den Eindruck, dass sich die Archtitekt:innen durchgesetzt hätten und Anregungen von Techniker:innen und Veranstalter:innen ungehört blieben. So sei der Raum im Moment zum Beispiel so gebaut, dass den Sänger:innen auf der Bühne ein Scheinwerfer direkt ins Gesicht strahle.
Außerdem hat sich das Umfeld merklich verändert. Früher stand der Konzertraum eindeutig im Mittelpunkt. Heute sind nun an der Lacombletstraße auch eine Kita und Azubi-Wohnungen zu finden, auf der anderen Straßenseite entstehen bald neue Wohnungen. All das sind Punkte, die die Bedingungen für Konzerte einschränken. Deshalb fürchten Vertreter:innen der Musikszene, dass das Haus der Jugend kaum oder nicht mehr den Stellenwert früherer Jahre haben wird.
Ratinger Hof Auch dieser Ort in der Altstadt ist aktuell von einer Krise geprägt. Der Verein Kulturbanausen hatte den Club im Oktober 2021 übernommen und versucht, ihn wieder als Konzert-Heimat zu etablieren. Im April dieses Jahres mussten die Macher:innen allerdings melden, dass sie insolvent sind. Die Zurückhaltung der Musikfans beim Kartenkauf, die im vergangenen Jahr sehr spürbar war, und andere Corona-Unsicherheiten hatten das Projekt zu hart getroffen. Der Betrieb läuft weiter, man wolle die Insolvenz nutzen, um den Betrieb neu und wirtschaftlich aufzustellen, sagten die Verantwortlichen. Dabei sollen Anträge auf öffentliche Unterstützung und mögliche Kooperationen eine Rolle spielen.
Ein Schritt auf diesem Weg ist das Hof-Fest, das zahlreiche Künstler:innen am 17. Juni ab 14 Uhr gestalten, um Geld für den Neustart einzuspielen. Nachmittags gibt es Lesungen, Pantomime und eine Versteigerung von Kunstwerken, ab 18 Uhr dann Live- und DJ-Musik.
Die Befürchtung von Musiker:innen und Fans in der Stadt: Gelingt die Rettung des Ratinger Hofs nicht, wird an derselben Stelle vielleicht niemand einen weiteren Anlauf mit einem Club machen, sondern ein gastronomisches Angebot einziehen. Bei der Krise vor der Übernahme der Kulturbanausen soll sich McDonald’s für die Adresse interessiert haben.
Kunstraum Kö106: Im ehemaligen China-Center ist im Moment musikalisch einiges los. Das Ende ist wegen der dort geplanten Bauarbeiten des Eigentümers aber absehbar.
Welche Orte für Konzerte bleiben?
Neben den drei großen Hallen gibt es noch einige wenige Orte, die stilistisch breit aufgestellt sind – und die entsprechend stark gebucht werden. Das gilt insbesondere für das Zakk und den Pitcher. Die Kehrseite der erfreulichen Nachfrage: Haben die Verantwortlichen für einen Abend drei Bands zur Auswahl, bedeutet ihre Entscheidung immer, dass zwei Bands nicht in Düsseldorf spielen.
Im Weltkunstzimmer an der Ronsdorfer Straße sind auch immer wieder Konzerte zu erleben, diese sind allerdings mit einem Aber verbunden. Expert:innen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir erklärt, dass man dort Anlagen dazu mieten müsse, wodurch die Kosten für einen Auftritt stiegen.
Neben den Genannten gibt es noch einige Clubs, die sich auf Genres spezialisiert haben. Das sind zum Beispiel das AK47 für Punk, der Kulturschlachthof für Techno, die Jazzschmiede für – genau: Jazz.
Welche Orte könnten hinzukommen?
In den Gesprächen mit Sorgenfalten fiel regelmäßig der Name Spektakulum. Die Bühne in Benrath ist in einer der beiden Schulen beheimatet, die nun zugunsten von Wohnhäusern abgerissen und anderer Stelle neu gebaut werden. Davon ist das Spektakulum betroffen. Läuft die so genannte Rochade so, wie die pessimistischeren Mitmenschen fürchten, dann gibt es über einen bestimmten Zeitraum kein Spektakulum. Die Stadt hofft dagegen auf einen nahtlosen Übergang. Sie hat eine Adresse im Blick und geht davon aus, dass die politischen Entscheidungen in der zweiten Jahreshälfte fallen. Dann könnte das neue Spektakulum rechtzeitig, also bis 2025 eröffnen.
Der Facebook-Post des Pitchers deutet zudem an, dass die Betreiber des Tube ihren Einsatz für Clubkonzerte fortsetzen wollen. Ihre Abschieds-Nachricht enthielt einen Satz, der ebenfalls vorsichtige Hoffnung erlaubt: „Wo sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere.“
Weitere Eindrücke vom Tube (entstanden genau ein Jahr vor der Schließung bei einem Konzert der Joseph Boys)