Rosenmontagszug in Düsseldorf: Als die Mottowagen top secret wurden

Bis zum Jahr 2000 sind die Entwürfe jeweils vor dem Karnevalsumzug präsentiert worden. Es gab jedoch immer wieder Beschwerden – und die Narren beschlossen, sie künftig geheim zu halten. Nun weicht man die Tradition für die TV-Sitzung auf, aber nur ein bisschen.
Veröffentlicht am 19. Februar 2025
Jacques Tilly Mottowagen Marlies Smeets, Düsseldorfer Karneval
Nachdem Ex-Oberbürgermeisterin Marlies Smeets (SPD) im Jahr 2000 gegen diesen Entwurf protestiert hatte, wurden keine Pläne für die Mottowagen des Rosenmontagszugs mehr vorab gezeigt. Zeichnung: Jacques Tilly

Der Sachverhalt ist kompliziert, eine ernste Sache und muss erklärt werden. Obwohl es um Karneval geht. Der ist nicht immer lustig, unter anderem weil er ein enormer Wirtschafts- und Tourismusfaktor für Düsseldorf ist. Einen wesentlichen Teil dieser Attraktivität verdankt er dem Rosenmontagszug. Der ist in Düsseldorf hochpolitisch und wird in Medien weltweit gezeigt. Voller Neid schauen Köln und Mainz darauf, ihre Wagen erreichen nicht annähernd das hiesige Niveau und Aufsehen.

Das liegt an den Mottowagen. Jeweils rund ein Dutzend davon ist im Zug unterwegs, und sie alle sind buchstäblich ätzend. Weil Wagenbauer Jacques Tilly und sein Team seit Jahren mit viel Humor und spitzer Kreativität eindringliche dreidimensionale Karikaturen schaffen. Weil man sie auch dann versteht, wenn man eine völlig andere Sprache spricht. Denn deren Botschaft ist eindeutig. Putin in einer Badewanne in den Farben der Ukraine, die voller Blut ist – das muss nicht erklärt werden. Das versteht jeder zwischen Tokio und Rio.

Sie in dieser Schärfe zu erdenken, zu bauen und tatsächlich auf die Straße zu bringen, scheint heute selbstverständlich. Ist es aber nicht. Es funktioniert nur, weil seit dem Jahr 2000 keiner weiß, was da am Morgen des Rosenmontags aus der Wagenbauhalle im Stadtteil Bilk rollt. Damit niemand, wirklich niemand eingreifen kann.

Genau das ist nämlich damals, im Jahr 2000 passiert. Marlies Smeets (SPD) hatte – obwohl als Amtsinhaberin favorisiert – wenige Monate zuvor 1999 die Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten Joachim Erwin verloren. Das war bitter für sie. Wagenbauer Jacques Tilly, damals noch nicht so berühmt wie heute, machte dazu einen Vorschlag für den Rosenmontagszug. Sein Entwurf zeigte Marlies Smeets auf dem Rücken liegend mit einem Messer im Bauch, auf dem das Wort „Stichwahl“ stand. Das war zwar zutreffend, aber hart – und für die besiegte Sozialdemokratin nicht akzeptabel, als sie den Entwurf sah. Sie rief den Künstler an und warf ihm im Gespräch (Tilly: „Es war sehr laut“) sogar Frauenfeindlichkeit vor. Sein Einwand, hätte Erwin verloren, würde er da liegen, konnte sie nicht beruhigen. Am Ende wurde der Wagen nicht gebaut.

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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