Tibor – Hymne auf einen Kellner
Ein später Montagnachmittag in Flingern. Tibor hat Kopfschmerzen. Aber natürlich lässt er sich – Profi, der er ist – nichts anmerken. Er wirkt vielmehr, als käme er gerade aus einem Yoga Retreat. Gesunder Teint, die rot-blonden Locken zum Dutt gebunden, kurze Cargo-Hose, gemustertes Hemd, Sneakers. So steht er hinter der Theke, die Außenterrasse vor dem Fenster fest im Blick. Der letzte freie Tisch wird gerade von Neuankömmlingen in Beschlag genommen, zwei Damen besten Alters. Tibor wartet, bis sie sich niedergelassen haben und nähert sich dann beschwingten Schrittes ihrem Tisch. Lächelt. „Hallöchen.“ Er geht in die Knie, genau so weit, bis er mit den Gästen auf Augenhöhe ist. Offener Blick: „Was darf ich euch denn bringen?“ Spätestens jetzt würde man sich alles von ihm servieren lassen. Auch Hühnerfüße. Oder Lebertran. Nach kurzer Rücksprache ist die Entscheidung bei den Damen gefallen: Zwei Campari Orange wären perfekt, um den Feierabend einzuläuten. Ist schließlich schon halb sechs. Offiziell schließt das Rekord um 18 Uhr, aber wenn so viele Gäste da sind wie an diesem lauen Montagabend, bleibt die Terrasse auch mal länger geöffnet. Flexibilität gehört in der Branche dazu.
Tibor arbeitet montags normalerweise nicht. Aber natürlich ist er flexibel. Wenn Rekord-Inhaber Markus Berndt ihn kurzfristig braucht, ist er meist zur Stelle. Auch davon abgesehen bringt der 24-Jährige alles mit, was einen guten Kellner ausmacht: Belastbarkeit, Freundlichkeit, Menschenkenntnis und vor allem Spaß daran, seinen Gästen eine gute Zeit zu bereiten. Das ist nämlich Tibors erklärtes Ziel. Die Branche, in die es ihn eher zufällig verschlagen hat – ursprünglich studierte er mal Biologie, später Chemie – hat spätestens seit Corona ein gewaltiges Imageproblem. Unregelmäßige Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, eine körperlich und mental anstrengende Tätigkeit – auf all das möchten sich mittlerweile nicht mehr viele Arbeitnehmer:innen einlassen. Bis zu 50.000 Kräfte fehlen in Gastronomie und Hotellerie in NRW, so schätzt man beim Branchenverband Dehoga. Ein Mann wie Tibor ist also Gold wert. Weil er freundlich ist, ohne anbiedernd zu sein. Aufmerksam, ohne zu nerven. Wenn man so will: der perfekte Gastgeber.
Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.
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