fbpx

Was die Wände des Engelchen in der Altstadt erzählen

Die Kneipe an der Kurze Straße ist zu einem sich ständig verändernden Kunstwerk ihrer Gäste geworden. Ein Besuch bei Benny am Tresen und eine Lektion in Altstadt-Archäologie.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 20. September 2024
Das Engelchen an der Kurze Straße in der Altstadt Düsseldorf
Ein Blick durch das Engelchen zeigt die vielen Inschriften an den Wänden der Kneipe.

Der Weg zur Toilette wird zum Duell der Lebensweisheiten. Sie sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Farbe ist verblichen, der Text teils übermalt. „Es gibt Menschen, die treten in dein Leben und verschwinden so schnell wie sie gekommen sind, andere bleiben für immer“, steht über einem Herz mit der Inschrift „Belli“. Ein Stück weiter rechts, knapp über dem Kneipenboden folgt die scheinbare Replik mit einem Songtext der Band Bonaparte. „Wir sind keine Menschen – wir sind Tiere – Menschen gibt es nicht.“

Das Engelchen in der Altstadt ist ein sonderbarer Ort. Direkt an der Kurze Straße gelegen und ziemlich anders als die meisten seiner Nachbarn. Eine kleine, vollkommen unprätentiöse Kneipe, in der sich vor allem diejenigen treffen, die mit der Düsseldorfer Welt des Zurechtmachens und sich Zeigens nicht allzu viel anfangen können. Ein Ort, der in der Regel irgendwann zwischen sechs und sieben am Abend öffnet und der erst schließt, wenn der jeweilige Barkeeper keine Lust mehr hat. Mittwochs und donnerstags ist das Benny. Und Benny hat meistens lange Lust.

Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass die meisten Texte an der Wand des Engelchen nach einem längeren kreativen Prozess entstanden sind. Vieles ist Gekritzel, kaum lesbar. Überall sind Sticker zu sehen. Nicht nur an den Wänden, auch auf den Tischen und Bänken. Dazwischen steht manch banaler Gruß. Eine Zeichnung nackter Frauenbrüste und der Spruch „Love is all around“, ein Lob wie „Sonja ist beste Kellnerin der Welt“. Wer sich zwischen den beiden Lebensweisheiten aus dem Einstieg dieses Textes durcharbeitet, landet auf einer Toilette, die einem chaotischen Stickermuseum gleicht. Fortuna, Bands, alles Mögliche ist hier quer und übereinander geklebt.

Benny bereitet gerade noch seine Schicht vor, als ich ihn am frühen Mittwochabend im Engelchen besuche. Bis er mit der Kasse fertig ist, muss ich noch draußen warten, dann darf ich rein. Er zapft mir das erste Alt der Nacht und stellt noch ein paar Bänke in die langsam untergehende Sonne, während ich am Tresen sitze. Dazu läuft aus den Boxen „Klein-Marx“ von Sophie Royer. „Aber wenn es mir zu viel wird, dann weiß ich wohin. Ich schmeiß‘ mich von der Klein-Marxer-Brücke und dann bin ich dahin.“

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Unser Journalismus ist werbefrei und unabhängig, deshalb können wir ihn nicht kostenlos anbieten. Sichern Sie sich unbegrenzten Zugang mit unserem Start-Abo: die ersten sechs Monate für insgesamt 1 Euro. Danach kostet das Abo 8 Euro monatlich. Es ist jederzeit kündbar. Alternativ können Sie unsere Artikel auch einzeln kaufen.

Start-Abo: 6 Monate für 1 Euro

Artikel einzeln kaufen

Schon Mitglied, Freundin/Freund oder Förderin/Förderer?

Hier einloggen


Lust auf weitere Geschichten?