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Weit entfernt von der NFL: Ein Footballer-Leben in Düsseldorf

American Football boomt in der Landeshauptstadt, unter anderem wegen der Erfolge von Rhein Fire. Dennoch sind deutsche Spitzenspieler wie Nick Wiens froh, wenn sie sich den Sport überhaupt leisten können.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 2. Februar 2024
Nick Wiens
Wenn Nick Wiens im Training Gewichte in die Höhe drückt, läuft sein Gesicht zumindest leicht rot an.

Das Stadion in Duisburg ist ausverkauft. 31.500 Menschen sind an jenem Sonntag im September gekommen, um ein American-Football-Spiel in Deutschland zu sehen. Viele von ihnen waren schon mittags da, beim großen Fanfest. Sie tranken Bier, aßen Steaks und verfolgten das Bühnenprogramm. Nun stehen und sitzen sie auf ihren Plätzen. Unten auf dem Rasen trifft Düsseldorf Rhein Fire auf Stuttgart Surge. Es ist das Finale der European League of Football (ELF). Dass Düsseldorf gewinnt, verfolgen weitere 660.000 Menschen zuhause im Fernsehen.

„Es war echt atemberaubend“, sagt Nick Wiens rund vier Monate später. Er steht dabei in einem Fitnessstudio am Solinger Stadtrand. Neben ihm liegen schwere Gewichte auf einer Hantelbank. Wiens trägt ein graues T-Shirt, auf das in Burgunderrot das Logo von Rhein Fire gedruckt ist. Er ist einer der Footballspieler, die in Duisburg den Titel geholt haben. Es sei das erste Mal gewesen, dass er in seiner „Randsportart“ in einem ausverkauften Stadion gespielt hat. „Hätte ich auch nie in Worte fassen können, hätte ich es nicht selbst erlebt.“

Die ELF ging 2021 in ihre erste Saison. Mit einem Ziel, an dem der deutsche Football zuvor gescheitert war: Die immer größer werdende Popularität der US-amerikanischen NFL, der größten Sportliga der Welt, in Europa zu nutzen. Ihre Gründung war nicht unumstritten. Denn es gab bereits eine deutsche Footballliga, die German Football League. Und trotz des Namens kamen auch in der ELF die meisten Mannschaften aus Deutschland. In der Auftaktsaison waren es sechs von acht, 2023 immer noch acht von 17 Teams. Bislang gab der Erfolg der neu gegründeten Liga recht: Die Zuschauerzahlen übersteigen jene der GFL deutlich. Und Spieler wie Nick Wiens machen mit ihrem Sport nun zumindest kein Verlustgeschäft mehr.

Während die NFL im Januar auf ihren Saisonhöhepunkt, den Super Bowl der beiden besten Mannschaften hinsteuert, ist in Football-Deutschland tiefste Winterpause. Erst Ende Mai beginnt die neue Saison, die Spieler von Rhein Fire trainieren nur individuell. So auch Nick Wiens. Er ist 26 Jahre alt, hauptberuflicher Physiotherapeut und hat vor etwas mehr als zehn Jahren in Dortmund mit dem Footballspielen angefangen. Bei Rhein Fire ist er Teil der O-Line, also „Bodyguard für die etwas schmächtigeren oder kleineren Jungs“, wie er es nennt. Er beschützt entweder den Quarterback, den wichtigsten Spieler der Offensive, oder denjenigen, der gerade den Ball hat. Lieber macht er Zweiteres. „Da kann ich den Kopf ausschalten und einfach spielen.“

Bei Wiens geht es gerade um Kraft und Masse. Mit 1,86 Meter und 127 Kilogramm ist er einer der schwächeren Jungs in der Düsseldorfer O-Line. Die Kombination aus Ketten und Gewichten, die an seiner Hantel hängen, ergibt dennoch rund 150 Kilogramm. „Noch im Rahmen“, sagt er. Die Ketten lägen beim Stemmen auch teilweise am Boden, wögen somit etwas weniger. Wenn er das Gewicht in die Höhe drückt, läuft sein Gesicht zumindest leicht rot an. Und er braucht ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. Er habe immer eher durch Technik brilliert, sagt er dann.

Nach seinem Einstieg in die Sportart wurde recht schnell klar, dass Wiens ein talentierter Footballspieler ist. Er wechselte aus Dortmund nach Köln, stieg dort mit den Crocodiles in die GFL auf. Mehrere Jahre versuchte er US-amerikanische Colleges auf sich aufmerksam zu machen. 2018 gelang es ihm. Ein Ex-Teamkollege zeigt den Trainern am New Mexico Military Institute ein Video – und Wiens in Aktion. Sie bieten ihm ein Stipendium an. Doch drei Monate bevor es in die USA gehen soll, verletzte er sich in einem Spiel für Köln am Knie. Sein Innenband riss, am Außenmeniskus war der Knorpel beschädigt. Wiens flog zwar nach New Mexico, bestritt jedoch kein einziges Spiel. Als er zur nächsten Saison wieder angreifen wollte, rieten ihm die Ärzte ab. „Bei mir ist eine Welt zusammengebrochen.“

Wieder zurück in Deutschland musste Wiens sich entscheiden: Risiko gehen, es vielleicht doch noch an eines der Top-Colleges in den USA schaffen und sich eventuell das Knie vollkommen zerstören? Oder es mit weniger Belastung in Deutschland versuchen. Er begann eine Ausbildung als Physiotherapeut und spielte ab 2021 in der neugegründeten ELF für die Cologne Centurions. In seiner ersten Saison schaffte er es ins All-Star-Team und wurde bei den Kölnern zum wertvollsten Spieler der Offensive gewählt. 2022 wechselte er zu Rhein Fire. Heute wohnt er in Erkrath.

Dass Wiens sich nach seiner Rückkehr in Deutschland für ein Team der neugegründeten ELF entschied, hatte auch finanzielle Gründe. Dort gibt es zumindest so viel Unterstützung, dass er sich neben seiner Ausbildung nicht noch weitere Arbeit suchen muss, um Football spielen zu können. Er verdient wie die meisten seiner Teamkollegen auf „Minijobbasis“ – eine Praxis, die angesichts einer privatwirtschaftlich organisierten Liga und der bis zu 20 Stunden pro Woche, die Spieler wie Wiens in den Sport investieren, für Kritik sorgt. Doch für Wiens ist es schon ein Schritt nach vorne. Seine Kollegen in den USA haben es da geringfügig besser. Die O-Liner dort verdienen in der Regel irgendetwas zwischen 700.000 und 15 Millionen US-Dollar im Jahr.

Das große Geld aus den USA wird neuerdings auch in Düsseldorf investiert. Im Oktober hat die NFL im Dreischeibenhaus ihr offizielles Hauptbüro für Deutschland eröffnet. 25 Mitarbeiter kümmern sich von dort aus um die Vermarktung der Liga. Und die NFL wird sichtbarer in der Stadt. Auf dem Weihnachtsmarkt, im Rosenmontagszug, als Straßenbahnlackierung. Überall sollen die Düsseldorfer künftig die milliardenschwere Sportliga wahrnehmen können.

Nick Wiens profitiert davon erst einmal nicht. Und doch macht es ihm Hoffnung. Er hofft auf eine verbesserte Infrastruktur vor Ort, die die ELF-Teams nutzen können, wenn gerade kein NFL-Team in Deutschland ist, auf mehr US-amerikanische Trainer, die das Niveau weiterentwickeln, auf deutsche Talente, die einmal ein Profileben führen können, ohne auswandern zu müssen. „Das wäre richtig schön. Aber bis dahin bin ich schon in Footballrente.“

Die NFL sucht den deutschen Markt. Mit dem Büro in Düsseldorf und durch reguläre Ligaspiele in München und Frankfurt. Die Idee, Football auch in Europa großzumachen, ist nicht neu. Schon in den 1980er-Jahren trug die NFL hier erste Vorbereitungsspiele aus und gründete später die NFL Europe. Jene Liga, die der namensgleiche Rhein-Fire-Vorgänger 1998 und 2000 zwei Mal gewann. 2007 endete das Marketinginteresse der amerikanischen Clubbesitzer. Die Liga wurde eingestellt.

17 Jahre später hat Nick Wiens seinen großen Traum aufgegeben. „Um nochmal in die NFL zu kommen, bin ich zu alt.“ Stattdessen will er nun in Deutschland das Beste herausholen. So etwas wie Club-Europameister ist er mit Rhein Fire schon geworden, nun will er auch mit der Nationalmannschaft etwas gewinnen. Das Team wird nach jahrelangen Streitigkeiten im Verband langsam wieder aufgebaut. Bei Rhein Fire wolle er sich zudem einen „Legendenstatus“ erarbeiten, sagt er. Ein erster Schritt ist getan, gerade hat er seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert. „Ich möchte, dass mein Name nicht vergessen wird.“

Das Stadion in Las Vegas wird ausverkauft sein. Rund 70.000 Menschen werden am Sonntag, 11. Februar, das NFL-Finale zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers vor Ort verfolgen. Im Fernsehen werden weltweit rund 800 Millionen Zuschauer erwartet, wenn die Spieler beider Mannschaften um den Super-Bowl-Ring und 164.000 Dollar Siegprämie pro Person spielen. Für sie ist das eher ein kleiner Bonus. Für Nick Wiens wäre es mehr Geld, als er in seiner gesamten Karriere verdienen wird.

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Nick Wiens
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