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Wie eine Kanadierin der Welt Düsseldorf erklärt

Als Jenna Davis in unsere Stadt zog, wollte sie am liebsten gleich wieder weg. Aber sie blieb und stattdessen verarbeitete sie ihre Probleme in einem Blog. Heute folgen ihr Zehntausende in den sozialen Medien und lernen von ihr auf Englisch mehr über Stadt und Land.
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 20. Oktober 2023
Bloggerin Jenna Davis in Düsseldorf
Jenna Davis stammt aus Toronto, ist heute überzeugte Düsseldorferin und noch mehr Himmelgeisterin. Das Foto entstand deshalb vor Schloss Mickeln.

Es gibt dieses eine Video von Jenna Davis, in der man viel über ihr Erfolgsrezept erfahren kann. Es ist bis heute mehr als 600.000 Mal angesehen worden und heißt „10 incredibly easy ways to learn german fast (really fast)“, zehn unglaublich einfache Wege, schnell Deutsch zu lernen. Manche Tipps sind vorhersehbar. Es geht um Sprachlern-Apps, Intensivkurse, Freunde und Google Translate. Doch es geht auch um Schlagermusik und um Alkohol. Davis sagt nicht nur, wie ihr Helene Fischer und Mickie Krause beim Deutschlernen geholfen haben, sie singt deren Hits „Atemlos durch die Nacht“ und „Schatzi, schenk mir ein Foto“ mit leichtem Akzent gleich selbst an. „Ein bisschen flüssiger Mut tut nicht weh“, sagt sie dann auf Englisch über ihre Düsseldorfer Bar-Erfahrungen. Dabei lächelt sie beinahe pausenlos in die Kamera.

Jenna Davis ist eigentlich Kanadierin, wuchs in der Nähe von Toronto auf. Heute ist sie überzeugte Düsseldorferin und noch mehr Himmelgeisterin. Dort wohnt die 32-Jährige mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern und arbeitet von dort als Vollzeit-Bloggerin. Davis betreibt drei Instagram-Accounts, einen Blog, einen Youtube-Kanal und eine Internetseite. Mit unterschiedlichen Zielgruppen, aber doch einem klaren Fokus. Sie spricht auf Englisch darüber, wie es ist, in Deutschland zu leben.

Während sie durch Himmelgeist spaziert, vorbei am Schloss und dem Rheinstrand, lacht sie noch regelmäßiger als in ihren Videos. Wer sie dabei sieht und ihr zuhört, kann sich kaum vorstellen, wie sehr sie am Anfang mit ihrem neuen Zuhause gehadert hat. Davis ist gerade Anfang 20, da trifft sie als Reisebloggerin in Südafrika ihren heutigen Ehemann. Es folgen Fernbeziehung, Fast-Trennung und schließlich das Zusammenziehen in Deutschland. Erst in Freiburg, dann in Düsseldorf, der Heimatstadt ihres Mannes. „Das erste Jahr war echt schwierig“, sagt sie. Nicht der Vergleich mit Kanada, sondern der mit Freiburg macht ihr besonders zu schaffen.

„Ich fand es dort superschön und war immer noch im Urlaubsmodus“, sagt Davis. In Düsseldorf angekommen, beginnt sie wieder voll zu arbeiten und trifft dabei auf die Mitarbeiter des städtischen Tourismusbüros, die von Kunstmuseen und der Königsallee schwärmen. „Das ist toll, aber nicht so mein Ding. Ich gehe lieber wandern“, sagt Davis. Hinzu kommen die Probleme, die englischsprachige Freiberufler in Deutschland nun mal haben: die Kommunikation mit Behörden, das komplizierte Steuerrecht, die Sprachbarriere. Davis verarbeitet das alles in dem neuen Blog „Life in Düsseldorf“. Statt ums Reisen geht es jetzt um all das, was ihr gerade Sorgen bereitet.

Wer heute den gleichnamigen Instagram-Account besucht, erkennt davon nichts mehr wieder und sieht stattdessen eine junge Mutter und ihren Lebensalltag in der Großstadt. Davis empfiehlt Yoga-Studios, Restaurants, eine internationale Schule und natürlich Ausflüge ins Grüne. „Es geht darum, wie ich in Düsseldorf lebe. Ich glaube, die Leute mögen, dass es sehr persönlich ist“, sagt sie. „Es ist der Ort, wo ich Spaß haben kann.“ Ein Ort, an dem sie heute sogar mehr deutsch- als englischsprachige Follower hat. Manche Deutsche wollen wohl ihr Englisch verbessern. Andere mögen einfach die Inhalte.

Es ist einer der letzten warmen Oktober-Tage, an dem Davis ihr Himmelgeist zeigt. Der Stadtteil ist einer ihrer Geheimtipps in der Stadt. Wobei sie zugibt, dass ihn mittlerweile auch so manch anderer Großstädter für sich entdeckt hat. „Jeden Tag um 17 Uhr kommen hier Hundert Kühe vorbei und von halb fünf bis halb sechs kann man frische Milch abholen“, sagt sie an einer Stelle. „Das fühlt sich hier wirklich wie ein Dorf an, aber es ist immer noch Düsseldorf.“ Als es auf halbem Weg zu regnen beginnt, zückt Davis ihr Handy. „Ich gucke mal auf meine Wetter-App“, sagt sie und lacht. Das sei so Deutsch. Vor zwei Wochen habe sie zum ersten Mal so etwas heruntergeladen. Die Wettervorhersage sieht nicht schlecht aus. Der Spaziergang kann weitergehen.

Wie Deutsch Davis bereits geworden ist, musste ihre Mutter in Kanada zuletzt erfahren. Davis hat den Sommer in der alten Heimat verbracht. „Meine Mama hat jeden zweiten Tag geweint, weil sie meinte: Jenna, du bist so böse, warum sagst du das?“ In Deutschland hat sich Davis antrainiert, auf Fragen ehrlich zu antworten. Nun gilt sie in Kanada als unhöflich, in Düsseldorf manchmal immer noch als merkwürdig nett. Es sind solche Geschichten, die sie gerne auch bei Youtube erzählt. Dort verdient Davis mittlerweile das meiste Geld.

„Life in Germany“ heißt ihr Account dort. Es geht um das, womit Davis einmal begonnen hatte. Um Tipps zum Leben in Deutschland. Um die Sprache, die Regeln, den Kulturschock. „All das, was ich selbst erlebt habe“, sagt sie. Wer die Seite öffnet, wird sofort von einer Helene Fischer singenden Jenna Davis begrüßt. Beinahe 50.000 Menschen haben die Mischung aus Praxistipps und lustigen „Culture Clash“-Videos bereits abonniert. Dabei ist Davis erst seit rund drei Jahren auf der Plattform aktiv. „Es war der richtige Zeitpunkt. Jetzt gibt es ganz viele Expats, die über Deutschland reden“, sagt sie. Expats, also Menschen, die zum Arbeiten ins Land kommen, sind dort auch ihre Zielgruppe. Viele der Zuschauer kommen aus Kanada, den USA oder auch aus Indien.

Die Runde durch Himmelgeist hat Davis mittlerweile beendet. Das Regenradar hat zwar recht behalten. So richtig schlimm ist es nicht geworden, dauerhaft trocken aber auch nicht. Unter dem Dach im Garten ihres Hauses geht es nun um das praktische Handwerk hinter den Beiträgen. „Manchmal denke ich, mir fällt nichts Neues mehr ein“, sagt sie. „Aber dann kommen einfach immer Fragen aus der Community.“ Auf jeder Plattform folgt ihr mittlerweile eine fünfstellige Zahl an Menschen, die immer wieder neue Dinge erfahren wollen. „Das wird niemals langweilig“, sagt sie. Gerade hat sie auf Wunsch die besten Halloween-Tipps für Düsseldorf zusammengestellt.

Mittlerweile wird Davis in der Stadt immer wieder auch erkannt. „Ich finde das richtig cool“, sagt sie. Selbst in Himmelgeist, wo es kaum Expats gibt, sei sie schon von einer Lehrerin angesprochen worden, direkt auf Englisch. Andere schreiben ihr bei Instagram, dass sie sie gesehen haben, aber sich nicht getraut haben, etwas zu sagen. Die einzigen Reaktionen, die Davis stören, stehen unter ihren Youtube-Videos. Da hätten schon mal Menschen kommentiert, dass sie „Vampirzähne“ oder „eklige Augenbrauen“ habe. Es sei die klare Minderheit. Aber doch beschäftige sie so etwas und halte sie davon ab, noch mehr Livestreams anbieten.

Aktuell freut sich die junge Mutter auf das kommende Jahr. Dann kommt auch ihre Tochter in die Kita und Davis hat mehr Zeit, sich auf ihre Accounts zu konzentrieren. Sie will das Angebot neu aufstellen, für das sie sich einst bei Youtube angemeldet hatte, um für ihren Vorbereitungs-Kurs für künftige Deutschland-Einwanderer zu werben. Bald wechselt sie damit auch zu der Videoplattform. Dann können künftige Expats bei ihr ein Monatsabo buchen und in der Zeit alle Tipps zum Umzug und Einleben abrufen. Was sonst kommt, weiß sie noch nicht. „Ich bleibe einfach offen, versuche Ideen zu sammeln und immer wieder etwas Neues zu machen“, sagt sie.

Sehnsucht nach Kanada hat Davis heute selten. Zu gut hat sie sich mittlerweile in Düsseldorf eingelebt. Nur eins, das vermisst sie nach wie vor. „Mein Cottage“, das klassische kanadische Wochenendhaus direkt am See. Wenn sie traurig ist, denkt sie manchmal daran zurück. Doch wieder auszuwandern, kommt für sie nicht mehr infrage. „Ich bin total zufrieden. Obwohl ich mit dem Blog angefangen habe, weil ich Düsseldorf nicht mochte, würde ich nie zurück nach Kanada gehen.“

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