Zehn Dinge, die ich über den Vampir von Düsseldorf gelernt habe
Als das Team von VierNull entschieden hat, mit dem Fall des Serienmörders Peter Kürten einen Podcast zu machen, hatten wir alle diesen Namen mal gehört und wussten, dass es um eine Reihe von Morden ging. Wie komplex die Geschichte ist, ahnten wir aber noch nicht. Anders als bei den bisherigen Fällen in unserer Serie „Kohle, Knast & Kaviar“ hatte ich die Verbrechen und Ermittlungen nicht als Polizei- und Gerichtsreporter begleitet, sondern musste in Archiven recherchieren und mich einlesen. Heraus kam eine Masse von Fakten, aus denen ich ein Konzentrat erstellt habe. Das haben wir am 28. Februar in der ausverkauften Halle des Zakk live präsentiert und gleichzeitig für den Podcast aufgezeichnet. Rund 300 Menschen fieberten bis zum Schluss mit, sichtlich und hörbar (es war sehr still in den Reihen) gefangen vom Tun dieses Mannes, auf den der Spruch von der Banalität des Bösen perfekt passt.
Bei den Vorarbeiten über mehrere Wochen wurde mir klar, wie wenig ich vorher vom Fall Peter Kürten gewusst hatte. Hier sind zehn Dinge, die ich erst jetzt über ihn gelernt habe.
1. Kürten wurde 1930 wegen neun Morden verurteilt (und 1931 dafür hingerichtet), aber nur acht davon geschahen 1929 in Düsseldorf. Den Neunten hatte er bereits 1913 begangen. Damals brachte er in Mülheim (seit 1914 ein Stadtteil von Köln) die neunjährige Christine Klein um, ein Zufallsopfer. Kürten traf bei einem Einbruch auf das schlafende Mädchen. Der Fall wurde nie geklärt, Vater und Onkel des Kindes gerieten in Verdacht. Erst als die Düsseldorfer Mordserie in Düsseldorf 1929 weltweit Schlagzeilen verursachte und Kürten festgenommen war, bekam die Düsseldorfer Polizei einen Hinweis auf die Kölner Tat. Damit konfrontiert, gab Kürten sie sofort zu.
2. Kürtens Frau Auguste hatte ebenfalls einen Menschen auf dem Gewissen. Die beiden heirateten 1923, und Kürten wusste, wen er da kennengelernt hatte. Auguste hatte nämlich ihren vorherigen Partner erschossen. Das Motiv: Der Mann, mit dem sie mehrere Jahre verlobt war, wandte sich einer jüngeren Frau zu. Daraufhin besorgte sich Auguste eine Pistole, ging zum Haus dieses Mannes und erschoss ihn. Dafür bekam sie fünf Jahre Haft wegen Totschlags.
3. Im Düsseldorf der 1920er wurde für die Gegend, in der Kürten (sein Kiez) vor allem unterwegs war, der Begriff des „Jammertal“ geprägt. Gemeint war eine Gegend der Stadtteile Gerresheim und Flingern mit den Straßen wie Hellweg, Dreherstraße oder Bertastraße. Damals ein Gebiet, das in großen Teilen von Notunterkünften geprägt war, mit einer Bevölkerung, die am unteren Rand der Gesellschaft mehr schlecht als recht über die Runden kam, Proletariat im sozial negativen Sinne. Bis in die 1990er Jahre, als ich in Düsseldorf als Polizei- und Gerichtsreporter arbeitete, hörte ich diesen Begriff manchmal im Gespräch mit einem älteren Kollegen, der im gutbürgerlichen Ludenberg („Am Gallberg“) aufgewachsen war. Von dort oben schaute man buchstäblich mitleidig-verachtend auf jene herab, die dort unten lebten – im Jammertal eben.
4. Die damalige Polizei ist nicht mit der heutigen vergleichbar. Sie war stark militärisch-preußisch geprägt, die meisten Polizisten trugen Uniform. Ihr Ansehen im Volk war von Angst und Misstrauen geprägt, nicht zuletzt, weil sie den fernen preußischen Apparat in Berlin repräsentierte. Dass sie mit der Auflösung eines solchen Falles überfordert war und auch der damals berühmte Kriminalist Ernst Gennat vor einem Rätsel stand, bestätigte diesen negativen Eindruck bis zum Schluss.
5. Kürtens Festnahme war reiner Zufall. Erst der Brief seines Opfers Maria Buttlies, die entkommen konnte und einer Freundin den Überfall Kürten beschrieb, brachte die Polizei auf die Spur des Täters. Denn diese Frau hatte er mit in seine Wohnung genommen, deren Adresse sie sich gemerkt hatte. Und dass dieser Brief überhaupt bei den Fahndern landete, ist lediglich einer Nachbarin dieser Freundin zu verdanken, die den Brief versehentlich öffnete, las und die Polizei informierte.
6. Nach seiner Verhaftung im Mai 1930 saß Kürten bis zum Prozess 1931 über ein Jahr in Untersuchungshaft. In dieser Zeit beantragte er eine aufwändige Zahnbehandlung. Die zuständigen Behörden lehnten das ab – die Behandlung schien ihnen nicht sinnvoll. Was sich zynischerweise wenig später bewahrheitete: Kürten wurde im Juli 1931 auf der Guillotine geköpft.
7. An der Verhaftung Kürtens im Mai 1930 war am Ende maßgeblich seine Frau Auguste beteiligt. Die hatte bei einer Befragung durch die Polizei am Ende eingeräumt, ihr Mann habe ihr gestanden, der seit Monaten fieberhaft gesuchte Mörder zu sein. Da die beiden aber zu dieser Zeit getrennt lebten, wusste sie nicht, wo Kürten sich aufhielt. Aber er hatte sich mit ihr zu einer letzten Aussprache, womöglich zur Rettung seiner Ehe, verabredet – an der Rochuskirche in Pempelfort. Sie unterrichtete die Polizei, man legte sich auf die Lauer. Um den Mann zu erkennen, war mit Auguste Kürten abgesprochen worden, dass sie ihrem Mann einen Brief überreicht, wenn er auftaucht. Das war das Zeichen für die Polizisten, dass es sich um den Gesuchten handelte. Denn die hatten keine Ahnung, wie er aussah. Für ihre Hilfe bekam Auguste Kürten übrigens später 4000 Reichsmark von der ausgesetzten Belohnung auf die Ergreifung des Mörders.
8. Der Fall Peter Kürten hat im Ausland zeitweise noch mehr Aufsehen erregt als in Deutschland. Es entstanden Theaterstücke, Romane und Filme, auch Musiker ließen sich von den gruseligen Details offenbar inspirieren. Bei den Recherchen fanden wir mehrere Bands und ihre auf Kürten basierenden, bisweilen bizarren Musikstücke. Wie Kürten die Popkultur beeinflusste, hat unser Kollege Sebastian Brück bei VierNull in dieser Geschichte aufgeschrieben.
9. Kürten kehrte jeweils kurz nach seinen Verbrechen an den Tatort zurück, und zwar in fast allen Fällen. Das gipfelt in einem Gespräch, das er mit einem Polizisten führte, als die Spurenauswertung nach einem von ihm begangenen Mord gerade begonnen hatte. Als das aktenkundig wurde, gab es polizeiintern erhebliche Kritik an diesem Polizisten, der sich aber darauf berief, ihn habe ein bürgerlich aussehender Schaulustiger angesprochen. Dass er gerade mit dem Mörder sprach, sei ihm nicht in den Sinn gekommen. Erst später erinnerte er sich, dass dieser Mann erstaunlich gut über den Ablauf der wenige Stunden zuvor passierten Tat informiert war.
10. Es hat mich merkwürdig berührt, immer wieder Orts- und Straßennamen im Fall Kürten zu lesen, die mir sehr vertraut sind. Zuvorderst: die Brauerei Schumacher an der Oststraße, Kürtens Lieblingskneipe. Und noch intensiver berührte mich zu lesen, dass Kürten oft in diesem völlig verkitschten Gebäude am Staufenplatz (mit Turm und Zinne einer Burg nachempfunden), damals ein Ausflugslokal namens „Jägerheim“, zu Gast war. Dass ich unmittelbar nebenan ein paar Jahre gewohnt habe, war zwar fast 100 Jahre später, dennoch ein komisches Gefühl. Das unübersehbare Haus gibt es immer noch. Heute ist darin ein arabisches Restaurant.
Der Podcast
Die neue Folge von „Kohle, Knast & Kaviar“ zum Serienmörder Peter Kürten ist hier zu hören:
Oder direkt hier: