Der Haltestellen-Check: Die Rheinbahn muss etwas für ihre Schaufenster tun
Die Haltestelle, von der ich so gut wie jeden Tag starte, ist eine besonders traurige. Der Bahnsteig 2 der Station „Morsestraße“ ist schmal, es gibt nur ein kleines Häuschen, das kaum mehr als ein Dach mit Rückwand ist. Es gibt keine Seitenwände, die vor Wind schützen, keine Bank zum Sitzen – und die Pflastersteine sind so eingesackt, dass einem die Pfützen entgegenlaufen, wenn man sich bei Regen dort unterstellt.
Ich habe dort immer wieder nachgedacht, was das über die Rheinbahn aussagt. Mein Grundgedanke: Ich finde, eine Haltestelle ähnelt einem Schaufenster, weil es der erste Berührungspunkt mit dem Unternehmen ist, dessen Produkte ich in Anspruch nehme. Übertragen auf ein Geschäft entspräche meine Haltestelle also einem Schaufenster, in dessen Auslage nichts liegt oder durch das man in ein schlecht aufgeräumtes, ungemütliches Ladenlokal blickt. An so einem Schaufenster würden die meisten Einzelhändler:innen etwas ändern. Der Zustand meiner Haltestelle ist aber seit mehr als zehn Jahren der gleiche.
Nun ist meine Station nur eine von sehr vielen in Düsseldorf. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht und bin mit vielen Straßenbahn-Linien deren komplette Strecken gefahren und habe mir Notizen zu allen Haltestellen gemacht. Zu den Häuschen, zur Barrierefreiheit, zu den elektronischen Anzeigen und zu den Sitzgelegenheiten. Waren die genannten Dinge vernünftig vorhanden, gab es dafür einen Punkt, waren sie nur in Teilen da, sank die Punktzahl auf 0,75 oder 0,5. Fehlte etwas komplett, gab es eine Null. Und das sind meine Ergebnisse.
Der erfreuliche Teil
Es gibt sehr erfreuliche Routen mit schönen Schaufenstern beziehungsweise Haltestellen. Fährt man zum Beispiel mit der Linie U72 in Richtung Ratingen, gibt es nach der Station an der Arbeitsagentur nur noch Haltestellen, die durchweg Einsen bekommen.
Die U72 gehört zur Wehrhahn-Linie, ist also im jüngsten Abschnitt der Düsseldorfer U-Bahn unterwegs. Auch aus dieser Röhre gibt es nur gute Nachrichten, alle neuen Stationen unter der Erde erfüllen alle Kriterien zur vollsten Zufriedenheit. Auf den älteren U-Bahn-Strecken gibt es leichte Einschränkungen, weil dort die taktilen Elemente für Sehbehinderte und Blinde fehlen.
Auch vor und hinter dem Tunnel schneiden die dort verkehrenden Linien, also alle die ein U im Namen tragen, recht gut ab. Bei einem Großteil der Haltestellen gibt es inzwischen Hochbahnsteige, so dass die Nutzer:innen barrierefrei ein- und aussteigen können, digitale Anzeigen und wettergeschützte Unterstell- und -sitzmöglichkeiten sind vorhanden. Auch dort ist der häufigste Grund für Bewertungen unter 1 das Fehlen der Hilfen für sehbehinderte Menschen, bisweilen müssen die Kund:innen auch über die Straße zur Bahn laufen.
Bei den Straßenbahnen, die ausschließlich oberirdisch fahren, ist das Bild leider nicht so gut.
Die Probleme
Ich habe viel Trostloses gesehen. Es gibt zum Beispiel eine Haltestelle, an der ist das Häuschen so schmal, dass keine Bank hineinpasst. Deshalb wurde sie leicht unmotiviert neben das halbe Häuschen gestellt (siehe Foto). Es gibt Stationen wie die am Marienhospital, an der es so gut wie keine Ausstattung und nicht mal genug Platz für die Wartenden gibt. Und insbesondere vorletzte Haltestellen einer Strecke, also die vor der Endstation, wirken oft wie nicht wirklich gewollt. Das vermutlich beste bittere Beispiel ist die „Straßburger Straße“ auf der Linie 704.
Wartehäuschen und Sitzgelegenheiten habe ich selbst an den schwächer bewerteten Stationen oft gefunden, in allen anderen Kategorien gab es eine Menge Nullen. Digitale Infotafeln fehlen immer noch an erstaunlich vielen Haltestellen. Der Nahverkehrsplan sieht vor, dass alle Straßenbahn-Haltestellen damit ausgerüstet werden sollen. Die Rheinbahn erklärt dazu, dass dies aus finanziellen Gründen und wegen begrenzter Kapazitäten nur nach und nach erfolgen kann. Bevorzugt würden dabei die Stationen, an denen viele Menschen ein- und aussteigen, sowie die, die eine höhere Bedeutung als Verknüpfungspunkt haben.
Die häufigsten Punktabzüge gab es für die fehlende Unterstützung von Menschen, die mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen unterwegs sind, und wie bereits erwähnt von Menschen mit einer Sehbehinderung. Ziemlich häufig befinden sich die Stationen am Straßenrand, während die Bahnen in der Mitte der Fahrbahn halten. Das bedeutet, dass Menschen mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen den vom Bürgersteig eine Stufe hinunter und an der Bahn mindestens eine Stufe wieder hinauf müssen.
Wir haben zu diesem Thema unter anderem eine Mail bekommen, in der eine Leserin schildert, wie das Problem fehlender Barrierefreiheit in den Bahnen weitergeht: „Zwei Sitze vorn, um die sich Rollstuhlfahrer, Rollator – Fahrer und Menschen mit Kinderwagen streiten müssen. Wenigstens hat es die Rheinbahn geschafft, die Fahrschein-Automaten aus diesem Bereich zu entfernen, so dass nicht mehr über den Köpfen der Behinderten ein Ticket gezogen werden muss. Aber zwei Plätze vorn und zwei hinten sind definitiv zu wenig. Und wer noch auf eine Begleitperson angewiesen ist, muss sich oft auf peinliche Diskussionen einlassen.“
Die offiziellen Zahlen
Ich habe meine Beobachtungen systematisch in einer Tabelle erfasst, wollte das Thema aber noch weiter objektivieren und habe deshalb bei der Rheinbahn Statistiken erbeten. Während ich mich auf Straßen-Haltestellen und U-Bahnhöfe beschränkt habe, beziehen die Angaben des Unternehmens auch die Stationen mit ein, an denen nur Busse stoppen.
Laut Rheinbahn gibt es in Düsseldorf an 1039 von 1736 Haltestellenkanten (meist besteht eine Haltestelle aus zwei Haltestellenkanten) Unterstellmöglichkeiten. Dort sind 1511 Sitzbänke vorhanden, weitere 667 Sitzbänke befinden sich außerhalb von Fahrgastunterständen.
Meine Sorge für die sehbehinderten Mitmenschen bestätigte sich, taktile Leitelemente gibt es an 805 von 1736 Haltestellenkanten, also nicht einmal der Hälfte.
Positives gab es bei digitalen Anzeigen zu berichten: Die Zahl liegt aktuell bei 645 in Düsseldorf, sie wächst dieses Jahr voraussichtlich um 41 weitere Anzeigen und nächsten Jahr noch einmal um 44.
Fazit
Meine Heim-Haltestelle „Morsestraße“ gehört zwar tatsächlich zu den bittersten Stationen, die ich auf meinen Fahrten gesehen habe, aber sie ist nicht allein. Und es gibt leider trotzdem reichlich Probleme und der Eindruck vom Anfang meiner Recherche blieb: Die Rheinbahn sollte sich um ihre Schaufenster kümmern.
Die einzelnen Kategorien noch einmal im Überblick:
- Häuschen und Sitzgelegenheiten: Sie sind an weit mehr als der Hälfte der Straßenbahn-Haltestellen zu finden. Wenn Probleme auftreten, dann meist aber gleich gebündelt. Hat ein Häuschen keine Seitenwände, heißt das, dass der Bahnsteig eine zu geringe Tiefe hat. Dann passt dort meist auch keine Sitzgelegenheit hin und für die wartenden Fahrgäste wird es schnell eng. Dieses Problem erfordert große Lösungen, weil von einem Umbau auch Straßen, Rad- und Gehwege betroffen wären. An der Arbeitsagentur (Station „Schlüterstraße“) hat gerade ein solcher Umbau begonnen.
- Anzeigen: 2022 und 2023 kommen mehr als 80 Tafeln hinzu. Wenn die Pläne so fortgeschrieben werden, sollten die Lücken in wenigen Jahren verschwunden sein – zumindest bei den Bahnhaltestellen.
- Barrierefreiheit und Blindenleitsysteme: Das war der häufigste und zugleich bitterste Punkt des Haltestellen-Checks. Menschen mit Einschränkungen stoßen an zu vielen Haltestellen auf große Herausforderungen. Die Rheinbahn ist dafür verantwortlich, Bahnen zu bestellen, in denen genug Platz für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen ist. Für die übrigen Punkte ist die Stadt, also Verwaltung und Politik, verantwortlich. Sie könnte ein Extraprogramm für mehr Barrierefreiheit und mehr Hilfen für Sehbehinderte auflegen und von der Rheinbahn oder externen Unternehmen umsetzen lassen.