Drei Chancen, die der Abgang des Rheinbahn-Chefs eröffnet
Im September 2016 feiert Klaus Klar 40 Jahre bei der Rheinbahn. Es ist ein großes Fest auf dem Betriebshof in Heerdt. Die Gäste stehen Schlange, um dem Mann zu gratulieren, der als 16-Jähriger seine Ausbildung im Unternehmen begann. Es wird viel umarmt und geherzt. Klaus Klar sagt immer wieder, er wolle keine Geschenke, man möge stattdessen doch bitte die wohltätigen Initiativen anschauen, die einen Stand auf dem Fest haben und die er so unterstützen möchte. Ich sehe, dass Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen für Getränke sorgen und mit Tabletts unterwegs sind. Einen von ihnen frage ich, ob sie dazu verpflichtet worden wären. „Nein, für den Klaus machen wir das gerne“, sagt er. Der Klaus ist zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre Vorstand der Rheinbahn.
Im Juli 2023 veröffentlichen die Rheinbahn und Oberbürgermeister Stephan Keller je eine Stellungnahme. Darin steht, dass Klaus Klar nicht länger Vorstandsvorsitzender ist und man ihm für seine Arbeit dankt. Die eine Mitteilung besteht aus fünf Sätzen, die andere aus drei – nach nun fast 47 Jahren im Unternehmen.
In solchen Fällen kann es immer sein, dass jemand aus gesundheitlichen oder familiären Gründen ausscheidet und man darüber schweigt. Dann wäre es nicht angemessen, seine Leistung kritisch zu beleuchten. Nach allen Gesprächen, die ich zu diesem Abgang geführt habe, scheinen persönliche Aspekte nicht dessen Ursache zu sein.
Die Kürze der Stellungnahmen ist ein Zeichen dafür, dass sich zwischen dem oben beschriebenen Fest und der Gegenwart etwas deutlich verändert hat. Es war einst die Stärke von Klaus Klar, so tief im Unternehmen verwurzelt zu sein und auch als Vorstand einen Draht zur Belegschaft zu haben. Doch diese Stärke hat sich ins Gegenteil gedreht. Die Rheinbahn hat Probleme, Kund:innen zu gewinnen. Bei neuen Fahrzeugen hatte man zuletzt stets mit technischen Pannen zu kämpfen, so funktionierten zum Beispiel bei neuen Straßenbahnen gerade die Scheibenwischer nicht. Außerdem musste die Rheinbahn ein Projekt verschieben, mit dem sie Fahrpläne und Verbindungen neu ordnen wollte („Rheintakt“).
Stadtspitze und Politik trauen Klaus Klar offenbar nicht zu, diese Entwicklung zu ändern. Der Respekt für seine Verdienste geht nur noch so weit, dass man ihm in den offiziellen Mitteilungen die aktive Rolle überlässt („auf eigenen Wunsch“). Das erscheint mir zweifelhaft, weil Klaus Klar Ende Juni noch zum Vorsitzenden der Haftpflichtgemeinschaft Deutscher Nahverkehrs- und Versorgungsunternehmen gewählt worden war – für drei Jahre. Und weil ich mir sehr gut vorstellen kann, dass er im September 2026 gerne ein Fest zu 50 Jahren bei der Rheinbahn gefeiert hätte. Letztlich war der Druck aus dem Rathaus aber offenbar so hoch, dass man sich auf einen Aufhebungsvertrag einigte.
An der Spitze stehen nun die beiden anderen Vorstände: Annette Grabbe (Finanzen) und Michael Richarz (Technik und Betrieb). Letzterer dürfte kaum Chancen haben, zum Vorstandsvorsitzenden befördert zu werden. Auch ihm wird ein Teil der genannten Probleme angelastet. Als vor kurzem seine Vertragsverlängerung anstand, war diese fraglich. Schließlich wurden ihm drei weitere Jahre zugestanden.
Annette Grabbe ist erst seit Anfang April bei der Rheinbahn. Sie ist folglich unbelastet und gilt als aussichtsreiche Kandidatin für den höchsten Posten. Ob es neben den beiden genannten erneut einen dritten Vorstand gibt oder die Aufgaben des Arbeitsdirektors auf die beiden aufgeteilt werden, soll in Ruhe entschieden werden. Die Rheinbahn hat lange Zeit zwei Vorstände gehabt, viele Kenner:innen des Hauses halten das für ausreichend.
Wenn eine dritte Person hinzukommt, wird dies der erste Maßstab sein, ob nun einen Umbruch gelingt. Es gibt im Unternehmen Menschen, die gerne auf einen solchen gut bezahlten Posten kämen. Eine solche interne Lösung würde eine Fortsetzung des bisherigen Kurses bedeuten. Für eine neue Rheinbahn-Politik bräuchte es eine externe Lösung. Findet man diese oder bleibt es bei zwei Vorständen, dann bietet das drei große Chancen:
Anderer Blick
Die Szene vom 40-Jahre-bei-der-Rheinbahn-Fest zeigte sehr gut, welche Verdienste mit dem Vorstand Klaus Klar verbunden waren. Er kannte und verstand die Belegschaft, berücksichtigte auch ihre Position bei den Entscheidungen des Unternehmens. Damit war er der Gegenpol zur jeweiligen Spitze: zum stark kaufmännischen orientierten Vorstandsvorsitzenden Dirk Biesenbach und zum technokratisch agierenden Vorstandsvorsitzenden Michael Clausecker.
Als Klaus Klar dann von der zweiten an die erste Stelle wechselte, wurde der Gegenpol zum Pol. Die Folge habe ich in einem Text mal so beschrieben: „Klaus Klar hat das Gegenteil der Majestätsbeleidigung erfunden: die Mannschaftskränkung. Der Vorstandsvorsitzende der Rheinbahn beendet seine Vorträge vorzugweise mit viel Pathos und dem Hinweis darauf, wie stolz er darauf ist, was die Belegschaft gerade geleistet hat. Der Trick: Jede Kritik an der Rheinbahn bedeutet dann, dass man die Leistung der Mitarbeitenden nicht würdigt.“
Eine solche Situation kann man nur verändern, wenn man nicht von innen kommt. Der Zeitpunkt ist deshalb günstig. Annette Grabbe ist gerade erst von außen eingewechselt (zuvor war sie als Geschäftsführerin bei der Westenergie Netzservice GmbH für Finanzen, Steuerung, Qualitätsmanagement und Digitalisierung verantwortlich) und hat einen anderen Blick. Zudem hat es in der Führungsebene unter dem Vorstand jüngst einige Neubesetzungen gegeben, unter anderem beim Personal, die sehr gut zu einem frischen Kurs passen.
Neue Zielgruppen
Die Rheinbahn ist ein wichtiger Teil der Verkehrswende, leistet bisher aber keinen zusätzlichen Beitrag. Die Zahl der Kund:innen ist noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Sprünge machen diese Zahlen vorwiegend dank externer Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket im vergangenen Jahr und jetzt das Deutschland-Ticket.
Wenn man den ÖPNV mit dem Radverkehr vergleicht, sieht man einen wichtigen Unterschied: In Düsseldorf fehlen für die Verkehrswende zwar auch noch vielfach die Radwege, dennoch entscheiden sich schon reichlich Menschen für den Umstieg. Das ist dann meist eine Herzensentscheidung.
Vergleichbare Entwicklung sind bei Bus und Bahn nicht zu beobachten. Und genau das wird eine der wesentlichen Herausforderungen für den neuen Rheinbahn-Vorstand sein. Ich habe in dem Text „Mobilität muss weiblicher werden“ beschrieben, was Frauen im ÖPNV vermissen beziehungsweise erwarten: mehr Sicherheit, andere Routen durch die Stadt und bessere Stationen. Annette Grabbe ist Mutter von drei Kindern und kann auch dank dieser Perspektive Ideen für Fahrzeuge, Haltestellen, Digitalisierung und Verknüpfungen mit anderen Mobilitätsformen entwickeln, die die Rheinbahn für neue Zielgruppen interessant macht.
Attraktiver Arbeitgeber
Der Krankenstand bei der Rheinbahn ist im vergangenen Jahr merklich gestiegen – ausgerechnet in dem Jahr also, in dem Corona eine immer geringere Rolle spielte. Eine relativ hohe Quote von Mitarbeiter:innen, die nicht zur Arbeit kommen (können), prägt die Rheinbahn schon seit vielen Jahren. Klaus Klar hat versucht, dem entgegenzuwirken: mit dem Konzept „Haus der Arbeitsfähigkeit“ und indem er sogar einen Teil seiner Bonuszahlungen davon abhängig machte, dass der Krankenstand sinkt. Dies ist offensichtlich nicht gelungen. Dass der Klaus der Chef ist, hat offenbar niemanden gebremst, wenn er für ein paar Tage das Bedürfnis nach einem gelben Schein hatte.
Ähnlich erfolgsfrei blieb der Ansatz, mehr weibliche Mitarbeiter zu gewinnen. Dieser Aufruf zweier älterer Männer wirkte verkrampft. Das Ergebnis ist entsprechend: Auf der ersten Ebene unterhalb des Vorstands (Bereichsleitung) liegt der Frauenanteil bei 25 Prozent, auf der zweiten Ebene (Stabsstellen- und Abteilungsleitungen) bei 12,5 Prozent. Den Appell an mögliche neue Kolleginnen kann Annette Grabbe anders vertreten und zudem mit neuen Recruiting-Methoden für einen Umbruch im Team sorgen, der wiederum positiv auf neue Zielgruppen unter den Kund:innen wirkt.
Fazit
Bei dem Fest im September 2016 wird in einer Rede der Lebenslauf des Jubilars zusammengefasst. Klaus Klar sei ein Mann, der die Extra-Meile gehe. Er habe sich nach der Ausbildung hochgearbeitet, neben der Arbeit noch Wirtschaftswissenschaften studiert und sich so für die Führungsaufgaben qualifiziert, hörten die Gäste damals.
Diesen Weg setzte Klaus Klar nach 2016 fort. Als Michael Clausecker als Vorstandsvorsitzender ausschied, hängte sich sein Stellvertreter voll rein, damit die Rheinbahn sich wieder auf ihre Kern-Tugenden konzentriert. Er verzichtete in dieser Zeit weitgehend auf Urlaub und drängte sich mit diesem Engagement dafür auf, neuer Vorsitzender zu werden. Die Verantwortlichen im Rathaus honorierten den Einsatz – und lernten anschließend, dass auch ein Experte für Extra-Meilen einen Schritt zu weit machen kann.