Düssel steigt extrem – und der Krisenstab macht ab 0.18 Uhr acht Stunden Pause

Im Protokoll des Düsseldorfer Hochwasser-Krisenstabs steht als letzter Eintrag für den 14. Juli Folgendes: &bdquo;0.18 Uhr: Die Lage hat sich wieder soweit entspannt, daß der Krisenstab seine Arbeit unterbrechen kann. Nächste planmäßige Zusammenkunft ist am 15.07.2021 um 8:30 Uhr.“ In derselben Nacht werden wesentliche Teile von Vennhausen und dem südlichen Gerresheim überflutet, ein Mann kann sich nicht vor dem Wasser in Sicherheit bringen und ertrinkt in seiner Wohnung. Die erwähnten Teile von Vennhausen und Gerresheim, um die es in diesem Text geht, liegen südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs (siehe Risikokarte 3). Die für uns zentralen Fragen lauten: Warum wurden die Bewohner:innen des Viertels südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs nicht gewarnt? War das Ausmaß des Hochwassers nicht absehbar? Die Verantwortlichen der Stadt haben am 6. September ihren Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei erklärten sie, es habe mehrere Ereignisse parallel gegeben (Starkregen, überlastete Kanalisation, Hochwasser) und die Veränderungen innerhalb weniger Stunden seien so heftig ausgefallen, dass es "äußerst kompliziert" gewesen sei, ein "vollständiges Lagebild" zu bekommen. Wir haben verschiedene Dokumente zusammengetragen, aus denen man nach unserer Ansicht alle wesentlichen Punkte hätte ablesen können: einen Pegelstand der Düssel, der so hoch war, das man ihn nicht mehr messen konnte Gebiete, die von einer Überflutung betroffen sein würden: unter anderem Vennhausen und das südlichen Gerresheim. das Ausmaß der Überflutung in den betroffenen Gebieten. Der Pegelstand der Düssel Der für die Düssel relevante Pegel befindet sich in Erkrath. Am 14. Juli erreichte er morgens 2,50 Meter und ab 22 Uhr einen Stand jenseits der maximalen Messhöhe von 3,10 Meter. Die Pegelstände, die in Erkrath gemessen werden, treten jeweils etwa zwei Stunden später in Gerresheim und Vennhausen auf. Quelle: Lanuv Das hier abgebildete Diagramm zeigt den Pegelstand der Düssel in Erkrath. Er wird dort in der Nähe der A3 gemessen. An der linken Seite des Diagramms kann man ablesen, welche durchschnittlichen Werte für die Düssel gelten: der mittlere Wasserstand beträgt etwa 1,10 Meter, ein durchschnittliches Hochwasser liegt bei knapp 1,80 Metern. Diese Marken wurden am 14. Juli am frühen Morgen erstmals deutlich übertroffen. Da erreichte der Pegel gegen 7 Uhr einen Stand von 2,50 Metern. Die Anwohner:innen des Flusses in Düsseldorf machten an diesem Morgen die Erfahrung, wie lange das Wasser von Erkrath bis zu ihnen braucht: rund zwei Stunden. Gegen 9 Uhr war der Pegelstand bei ihnen so überdurchschnittlich hoch wie zuvor in Erkrath. Das heißt: Wenn in Erkrath der Pegel steigt beziehungsweise extreme Werte erreicht werden, hat man in Düsseldorf noch knapp zwei Stunden Zeit, um darauf zu reagieren. Das Diagramm zeigt in seiner rechten Hälfte, was am Abend des 14. Juli geschah. Der Pegel stieg mit hoher Geschwindigkeit. Ab 22 Uhr verläuft die Linie waagerecht, auf Höhe von 3,10 Metern. Eine Nachfrage beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) hat ergeben, warum das so war: Nicht, weil der Pegel konstant auf diesem Niveau blieb, sondern weil der Schwimmer, der den Pegel misst, auf 3,10 Metern Höhe hängt. Er wurde zu diesem Zeitpunkt überspült, der wahre Pegel lag noch höher. Zur Verdeutlichung: In Erkrath zeichnet sich am Abend ein neuer extremer Pegelstand ab, gegen 22 Uhr erreicht er einen nicht mehr messbaren Stand. Nach den Erfahrungen vom Vormittag war klar, dass diese Wassermengen zwei Stunden später in Düsseldorf sein würden. Der Krisenstab aber spricht von einer Lage, die sich soweit entspannt hat, dass man die Arbeit unterbrechen kann. Entscheidend ist an dieser Stelle, wann den Verantwortlichen in Düsseldorf welcher Pegelstand vorlag. Es gibt Pegel, die bei Hochwasser eine automatische Meldung an die Bezirksregierung auslösen, die wiederum die Kommune informiert (Hochwassermeldepegel). Der Pegel an der Düssel ist dagegen ein sogenannter gewässerkundlicher Pegel. Etwas verkürzt gesagt: Er misst einfach nur und liefert automatisch Daten, zum Beispiel für die Seite Hygon, von der das Diagramm hier stammt. Die Darstellung dort wird alle zwei Stunden aktualisiert. Das heißt: Es laufen nicht kontinuierlich Daten ein, es wächst also nicht kontinuierlich eine Kurve. Es wird alle zwei Stunden ein Punkt eingezeichnet, der mit den vorherigen verbunden wird, und so entsteht die Kurve. Wann also konnte man in Düsseldorf den Punkt sehen, der für Erkrath einen Wert von 3,10 Meter bedeutete? Dazu schreibt das Lanuv auf meine Anfrage: "Die Wasserstandsdaten des Pegels Erkrath/Düssel sind während des Hochwasserereignisses Mitte Juli 2021 kontinuierlich - technisch bedingt mit etwa 1 Stunde Verzögerung - im Portal Hygon des Lanuv angezeigt worden." Das heißt: Der Pegelstand von 3,10 Metern war in Düsseldorf ab etwa 23 Uhr, auf jeden Fall vor 0.18 Uhr erkennbar. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Das Lanuv hat am Nachmittag des 14. Juli ein hydrologisches Lagebild versendet (15.30 Uhr). Darin heißt es: "An vielen weiteren Gewässern ohne Meldepegel befinden sich die Wasserstände auf hohem Niveau, hierbei bewegen sich diese überwiegend noch im mittleren Hochwasserbereich oder darunter. Bei Starkregen ist jedoch aufgrund der hohen Abflussbereitschaft in den betroffenen Einzugsgebieten immer wieder mit schnell ansteigenden Wasserständen zu rechnen." Die Lagebilder kann man hier nachlesen. Die Stadt schätzt die Lage anders ein und hat auf meine Anfrage zu den Instrumenten erklärt: "Es wurden kontinuierlich alle online verfügbaren Pegel gemonitort, zusätzlich wurden die konkreten Wasserstände in Düsseldorf bei örtlichen Kontrollen überprüft. Aus diesen Erkenntnissen ließ sich kein eindeutiges Szenario für einzelne Gewässer und daraus resultierende Überflutungen ableiten, insbesondere durch die Überlagerung der Überflutungen mit dem Starkregen." Zu dem Diagramm noch ein Hinweis: Auf dem Bild steht &bdquo;ungesicherte Rohdaten“. Das gilt bei den Messungen zunächst immer, weil sie automatisch erfolgen. Das Lanuv hat sie für die genannten Tage aber bereits überprüft, die Daten stimmen mit den tatsächlichen Ereignissen überein, bestätigte man uns auf Anfrage. Die Hochwasserkarten Bei einer anderen Behörde des Landes, bei der Bezirksregierung Düsseldorf, gibt es – ebenfalls frei einsehbar im Internet – wichtige Karten zum Thema. Dabei muss man zwei Arten unterschieden: Risikokarten und Gefahrenkarten. Risikokarten zeigen, wer von Hochwasser und Überflutung betroffen sein könnte. Auf Gefahrenkarten ist zu lesen, wie stark man betroffen sein könnte, also wie hoch das Wasser in den Straßen oder Häusern steht. Ich habe bei der Bezirksregierung nachgefragt, wie diese Karten zu lesen sind. Daraus ergaben sich die folgenden fünf Punkte: 1. Die Überflutungsflächen werden mit Computermodellen berechnet. Diese werden mit Hilfe der im Fluss vorhandenen Pegel (in diesem Fall also in Erkrath) überprüft, korrigiert und verfeinert. 2. Diese Karten sind insofern irritierend, als die Farben den Eindruck erwecken, es ginge um unterschiedliche Grade der Betroffenheit, also dass jemand, der im roten Gebiet wohnt, besonders gefährdet ist. Das ist nicht der Fall. Von Hochwasser betroffen sind alle farbig gekennzeichneten Gebiete. Die Farben stehen dabei für die unterschiedlichen Formen der Nutzung: Rot für Wohngebiet, Lila für Industrie- und Gewerbeflächen, Grün für Vegetations- und Freiflächen. &bdquo;Betroffenheit“ im Sinne dieser Karte bedeutet, dass Flächen mit Wohnbebauung oder gemischter Nutzung bei Hochwasser überflutet werden. 3. Es gibt drei verschiedene Risikokarten: solche für Hochwasserereignisse, die häufiger auftreten, und solche, die selten oder extrem selten auftreten. Das ist mit einer umgekehrten Logik verknüpft: Die relativ häufig auftretenden Ereignisse sind mit kleineren Hochwassern verbunden. Je seltener das Ereignis, desto höher der Pegel. Das Ereignis auf der Extrem-Karte ist laut Bezirksregierung mit &bdquo;außerhalb des Pegel-Messbereichs“ definiert. Risikokarte 1 ist für relativ häufig auftretende Hochwasser der Düssel. Bei diesen Pegelständen ist das Gebiet südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs so gut wie nicht betroffen. Quelle: Bezirksregierung Düsseldorf Risikokarte 2 gilt für selten auftretende Hochwasser. Betroffen ist dann vor allem ein Gebiet südlich des Sandträgerwegs. Quelle: Bezirksregierung Düsseldorf Aus Risikokarte 3 für extrem seltene und extrem hohe Pegelstände der Düssel ergibt sich, dass das gesamte Viertel südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs betroffen wäre. Quelle: Bezirksregierung Düsseldorf 4. Auf den Risikokarten für die häufiger auftretenden Hochwasser an der Düssel ist das Viertel südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs nur minimal &bdquo;betroffen“. Auf der Karte der seltenen Ereignisse ist ein Gebiet südlich des Sandträgerwegs &bdquo;betroffen“. Bei einem Extremereignis ist das gesamte Viertel südlich des Gerresheimer S-Bahnhofs betroffen. Diese Karte hätte man also nehmen müssen, um die Flutgefahr für das Viertel zu erkennen. Die Gefahrenkarte zeigt in verschiedenen Blautönen, welche Wassertiefen sich bei einem Extrem-Hochwasser in den überfluteten Gebieten ergeben. Quelle: Bezirksregierung Düsseldorf 5. Um die Gefährdungslage besser einschätzen zu können, rät die Bezirksregierung, ergänzend zu den Risikokarten die Gefahrenkarten heranzuziehen. Letztere enthalten Informationen zum Ausmaß der Überflutung einschließlich der zu erwartenden Wassertiefen und der Fließgeschwindigkeiten. Die hier abgebildete Karte zeigt, dass in den betroffenen Gebieten Wassertiefen von ein oder sogar zwei Metern zu erwarten waren. Im Nachgang haben die zuständigen Behörden erklärt, dass die tatsächlich aufgetretenen Fluten in hohem Maße zu den Prognosen der Karten passten. Zusammenfassung: Entscheidend ist, welche Risikokarte man heranzieht. Geht man von einem relativ normalen Hochwasserereignis aus, wird man südlich des S-Bahnhofs Gerresheim keine oder wenig Überflutungsgebiete...

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