Düsseldorf erwägt, nochmals eine komplette Rheinbrücke zu versetzen
Die Theodor-Heuss-Brücke befindet sich im Herbst ihres Lebens – und sie hat Stress. Das Bauwerk wurde 1957 fertiggestellt und in Betrieb genommen, ihre theoretische Lebensdauer betrug mal 70 bis 100 Jahre. Allerdings hat ihre Belastung im hohen Alter zugenommen. Rollten Anfang der Sechziger rund 18.000 Fahrzeuge von der einen auf die andere Rheinseite, waren es bei einer Zählung im Jahr 2016 mehr als 72.000 pro Tag. Das ist wahrlich nicht spurlos an der Brücke vorbeigegangen, wie man zum Beispiel an der Fahrbahnplatte oder auf der Unterseite merkt. Für richtige schwere Fahrzeuge ist sie inzwischen dauerhaft gesperrt, Laster dürfen auf der Brücke auch nicht mehr überholen.
Aber selbst diese Regeln und die jährlichen Instandhaltungsmaßnahmen werden das Bauwerk nicht mehr lange retten. Die Stadt hat deshalb vergangene Woche beschlossen, mit den Bürgern über die Brücken-Zukunft zu diskutieren. In der Öffentlichkeitsbeteiligung werden die vielen denkbaren Varianten von Sanierung über Teil-Neubau bis Ganz-Neubau (wiederum in diversen Formen denkbar) erörtert. Die Politiker entscheiden anschließend, ab 2024, über die weiteren Schritte. Im Verkehrsausschuss vergangene Woche kam dabei auch eine Idee auf, die ich sehr charmant finde. Da die Theodor-Heuss-Brücke als Verbindung kaum verzichtbar ist, könnte man die neue Brücke daneben bauen, dann erst die alte außer Betrieb nehmen und die neue an ihren künftigen Platz bringen. Brückenverschiebung heißt der Vorgang, der mich an ein Düsseldorfer Ereignis aus dem Jahr 1976 erinnert.
Selbst nach heutigen Maßstäben ist das, was damals geschah, eine Sensation: Die Stadt löst ein vergleichbares Verkehrsproblem mit einem sehr mutigen Konzept. Weil die alte Oberkasseler Brücke nicht mehr ausreicht, man aber dem wachsenden Verkehr die jahrelange Bauzeit eines Ersatzbauwerks an gleicher Stelle nicht zumuten kann, ersinnt man eine spektakuläre Lösung. Die alte Brücke wird weiter benutzt, und die neue nebenan gebaut. Dann reißt man die alte ab und lässt die neue auf deren Platz rutschen. Soweit der Plan.
Das klingt unglaublich? Ja, klang es damals auch. Aber es funktionierte. Jedoch mit einem enorm hohen Aufwand, viel Risikobereitschaft und einem Höchstmaß an international beachteter Ingenieursleistung. Die Chronologie der Ereignisse:
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wird die Verbindung zwischen Oberkassel und der Düsseldorfer Innenstadt von deutschen Pionieren gesprengt, um den von Westen anrückenden alliierten Truppen den Vormarsch zu erschweren. Nach 1933 hatte das Bauwerk zum Gedenken an die Seeschlacht im Skagerrak (Erster Weltkrieg) den Namen Skagerrak-Brücke bekommen.
Kurz nach dem Krieg baut die Stadt an gleicher Stelle eine neue Brücke. Die wird jedoch, nur wenig mehr als acht Meter breit, bereits in den frühen 1960er Jahren als viel zu eng angesehen. Der Autoverkehr wächst rasant, zudem führt eine Straßenbahnlinie hinüber. Also beschließt man, die Querung zu erneuern. Das jedoch wird enorme Probleme im innerstädtischen und bei den Pendlerverkehren verursachen. Also plant man die Erneuerung für die Zeit nach der Fertigstellung der Kniebrücke, die 1969 dem Verkehr übergeben wird. Von der erhofft man sich teilweise Entlastung. Dennoch will man den Druck so gering wie möglich halten, weil auch mit dieser neuen Verbindung, die heute neben dem Landtag das Rechtsrheinische erreicht, der Verkehr nicht genug Raum finden wird. Nach langen Beratungen entsteht eine anfangs belächelte Idee: Die bisherige Oberkasseler Brücke bleibt stehen, und man lässt den Verkehr darüber laufen, bis die neue fertig ist. Dann reißt man die alte so schnell es geht ab, und schiebt die neue in diese Position. Und zwar das weitgehend fertige Bauwerk. Sehr schnell sind sich die Techniker einig: Das geht.
Allein die Ankündigung dieses Plans löst nicht nur in Deutschland erhebliches Staunen aus. Eine komplette Brücke von rechts nach links schieben – das hat es so noch nie gegeben. Das Ding ist über 500 Meter lang und wird am Ende um die 12.500 Tonnen wiegen. Die wollen nicht nur versetzt, sondern auch gesichert sein. Tausend Probleme sind zu lösen, zig Risiken abzuwägen. Am Ende steht fest: Riesige Hydraulikpressen übernehmen den Job, die Masse zu bewegen. Dahinrutschen wird der Koloss auf Teflonplatten, befestigt auf einer Stahlkonstruktion. Teflon hat die nützliche Eigenschaft, unter Druck die Gleitfähigkeit zu erhöhen.
Über Monate sind die Vorbereitungen ein zentrales Thema in der Stadt. Technik, Rampen, Berechnungen – alles wird akribisch vorbereitet. Übrigens ohne kluge Computerprogramme, denn die sind in dieser Zeit im Vergleich zu heute noch lahme Enten und zu solch komplexen Berechnungen kaum in der Lage. Während die Vorbereitungen laufen, entsteht nicht weit entfernt stromaufwärts die neue Brücke. 1969 ist Baubeginn, 1973 ist sie fertig. Nach der vorläufigen Verkehrsfreigabe im Dezember 1973 wird der Verkehr auf die neue Brücke umgeleitet, während die alte abgebrochen und an ihrer Stelle der endgültige Unterbau für die nebenan wartende Nachfolgerin vorbereitet wird.
Nun kommt die Aktion, auf die alle gewartet haben: Das neue Bauwerk, bereits provisorisch vom Verkehr genutzt, soll in die Position des alten rutschen. Und genau dies geschieht: Der komplette Oberbau der Brücke samt Pylon und Schrägseilen wird um 47,5 Meter stromabwärts an den Platz der alten Brücke gezogen. Und zwar mit einer Geschwindigkeit von 3,6 Metern pro Stunde (entspricht einem Millimeter pro Sekunde). Die Aktion dauert dreizehn Stunden, alles funktioniert. Salopp gesagt: Es flutscht wie erwünscht und dank des Teflon. Drei Wochen später sind dann die Anschlüsse hergestellt, am 30. April 1976 erfolgt die endgültige Verkehrsfreigabe.
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Weiter oben steht diese Formulierung: „… an den Platz der alten Brücke gezogen.“ Exakt so ist es: In Wahrheit wird die Konstruktion nicht geschoben, sondern gezogen – die Pressen bewegen so genannte Zugstangen, und so entsteht der sehr langsame Vortrieb.
Enorm wichtig ist seinerzeit, dass die beiden parallel arbeitenden Pressen ihren Druck synchron erzeugen, es also kein Geruckel gibt. Denn wenn die Brücke angefangen hätte zu schaukeln, hätte sie kippen können. Dagegen hat man zwar eine Notfallkonstruktion aus Stahlseilen installiert, aber von deren Fähigkeit, das Ganze aufzufangen, will sich keiner überzeugen müssen. Dass dieser Notfall eintreten würde, schließen die Techniker mit absoluter Sicherheit aus. Sie fühlen sich auf der sicheren Seite, zumal die Bewegung extrem langsam vor sich geht. Von Tempo kann hier keine Rede sein.
Das ist damals auch die große Enttäuschung Tausender Schaulustiger. Für sie hat man eigens Besucherareale abgesperrt, sozusagen Logenplätze für die Brückenverschiebung (die in Wahrheit eine -ziehung war). Aber ein Millimeter pro Sekunde – das kann das menschliche Augen nicht erkennen. In der Wahrnehmung der Menschen bewegt sich das Ding überhaupt nicht. Tut es aber doch. Um den Eindruck darzustellen, gibt es Fotos und Filme im Zeitraffer. Darauf sieht man deutlich, wie Bewegung in die Sache kommt. Und am Ende erfolgreich zu Ende geführt wird.
Weiterführender Link
Der damalige RP-Redakteur (und spätere Sprecher der Stadt Düsseldorf) Hans-Joachim Neisser hat die Planung in einem Bericht für „Die Zeit“ seinerzeit kenntnisreich hier aufgeschrieben.