Gerresheim: Plötzlich spricht alles für die Unterführung
Düsseldorfs Politikerinnen und Politiker wollten in nächster Zeit vor allem über den städtischen Haushalt sprechen. Die Gremiensitzungen im Herbst sind traditionell von Etatberatungen geprägt. An mindestens einer Stelle wird es aber einen in anderer Hinsicht wegweisenden Beschluss geben. Am 21. November entscheidet der Rat, wie der nördliche und der südliche Teil Gerresheims verbunden werden. Lange sah es so aus, als werde dies durch eine Fußgänger- und Radbrücke über die Bahnschienen erfolgen. Plötzlich aber ist die bevorzugte Variante der Bürgerinnen und Bürger, eine breite Unterführung, wieder Favorit.
Was bisher geschah
Die heutige Unterführung am S-Bahnhof könnte im Lexikon problemlos neben dem Begriff Angst-Raum stehen. Und auf den Artikel zu Schmuddelecke verweisen. Die Mischung aus Uringeruch, Schmierereien und kaputter Beleuchtung erschreckt sogar hartgesottene Nutzer von Deutsche-Bahn-Stationen.
Deshalb steht schon lange fest, dass hier etwas geschehen muss. Das gilt erst recht, weil es über eine lange Strecke die einzige Stelle ist, an der Gerresheimer von Nord nach Süd oder Süd nach Nord kommen. Der Planungswettbewerb zu dieser Frage ist inzwischen 14 Jahre alt. Dessen Ergebnis war damals eine neue Röhre direkt neben der alten. Sie sollte neun statt zweieinhalb Meter breit und über Rampen erreichbar sein.
Am 8. September 2022 schienen alle Hoffnungen auf diese Lösung dahin. Oberbürgermeister Stephan Keller stellte an diesem Tag seinen Entwurf für den städtischen Haushalt 2023 vor. Da die finanzielle Perspektive zu diesem Zeitpunkt schlecht war, kündigte der Rathauschef in seiner Rede Kürzungen an – unter anderem so: „Wir werden keine 40 Millionen Euro für eine Unterführung am Gerresheimer Bahnhof ausgeben können. Ich weiß, dass dies zu Unmut im Düsseldorfer Osten geführt hat. Aber wir müssen gemeinsam nach günstigeren Lösungen suchen.“
Die Verkehrsverwaltung prüfte seitdem, ob oder wie man sparen kann und welche Varianten in Betracht kommen. Anfang Oktober hat sie in der für Gerresheim zuständigen Bezirksvertretung 7 die Optionen vorgestellt. Mit dabei war auch wieder die Unterführung. Deshalb habe ich den Eindruck, dass der Tunnel nun doch kommt. Dafür sprechen aus meiner Sicht die folgenden fünf Punkte:
Verkehrsverwaltung hat keine Präferenz
Der zuständige Dezernent Jochen Kral hat Über- und Unterführung in drei Kategorien verglichen: verkehrlich, städtebaulich und finanziell.
In der verkehrlichen Bewertung sprechen zwei Punkte für die Unterführung. Personen mit Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwagen können sie auch nutzen, wenn die Aufzüge ausfallen (und das machen Lifte bei der Deutschen Bahn schon mal ganz gerne). Zudem sind die Röhren für Radfahrende zumindest günstiger. Wenn dort viele Fußgängerinnen unterwegs sind, müssen sie zwar auch absteigen. Aber es ist allemal leichter den Tunnel zu nutzen, als mit dem Aufzug oder über Treppen das Rad auf die Überführung und auf die andere Seite zu bringen.
Für eine gute Anbindung des Radverkehrs muss die Stadt voraussichtlich so oder so eine Lösung auf der heute schon vorhandenen Autobrücke finden. Dazu gibt es bisher allerdings nur ein Luftbild, auf dem ein leicht unmotivierter Strich die benachbarte Wiese kreuzt.
Städtebaulich haben beide Varianten Defizite. Die Überführung prägt die Umgebung einschließlich des denkmalgeschützten Bahnhofs. Die Unterführung kann wieder ein Angst-Raum werden und ist deutlich anfälliger für Graffiti.
Bei den Kosten liegt die Überführung vorne. Die Stadt schätzt ihren Eigenanteil auf acht bis zehn Millionen Euro. Bei der Unterführung sind es voraussichtlich 22 Millionen plus etwa 18 Millionen Euro Fördergeld.
Aus dieser Bewertung hat die Verkehrsverwaltung keine Empfehlung abgeleitet. Sie überlässt die Entscheidung den politischen Gremien.
Vertreter:innen des Stadtteils haben eine Präferenz
In Gerresheim gibt es eine Mehrheit für die Unterführung. In den vergangenen Wochen hat eine Reihe von Vereinen eine Resolution für den Tunnel unterschrieben. Die übrigen Vereine verwiesen darauf, sich politisch nicht zu äußern, einzelne von ihnen kritisieren die Röhre als möglichen Angst-Raum.
Die Bezirksvertretung stimmte als erstes Gremium ab. 13 Mitglieder votierten für die Unterführung, zwei enthielten sich. Wichtig dabei: Auch die Gerresheimer CDU war mehrheitlich für den Tunnel. Das ist ein Fingerzeig für die Kolleginnen und Kollegen im Rathaus.
Aus dem Verkehrsausschuss ist kein Widerspruch zu hören
Das entscheidende Signal gibt am 30. Oktober der Verkehrsausschuss. Dort sitzen die Fachpolitiker:innen und zahlreiche Spitzenvertreter:innen der Fraktionen. Ihre Meinung ist daher die Grundlage für den Beschluss des Stadtrats.
Bisher haben sich die Mitglieder des Verkehrsausschusses nicht öffentlich geäußert. Auch das ist ein Zeichen. Sie hatten seit dem Votum der Bezirksvertretung ausreichend Zeit zu erklären, warum sie deren Entscheidung nicht mittragen. Da dies nicht geschehen ist, vermute ich, dass die Fachpolitiker:innen der Bezirksvertretung folgen.
Das Thema soll aus dem Wahlkampf rausgehalten werden
Auch beim Oberbürgermeister fällt vor allem auf, was er nicht sagt. Theoretisch hätte er in seiner diesjährigen Haushaltsrede die Unterführung als frühzeitiges Wahlkampf-Geschenk präsentieren können. Das hat er nicht getan, vermutlich weil er sich selbst nicht innerhalb von zwei Jahren so deutlich widersprechen wollte.
Für Stephan Keller ist auch nicht entscheidend, was am Ende in Gerresheim gebaut wird. Entscheidend ist, dass das Thema im Wahlkampf nicht mehr relevant ist. SPD-Kandidat Fabian Zachel ist in Gerresheim aufgewachsen und könnte sich als Kümmerer profilieren, wenn die Frage noch offen wäre.
Fällt nun aber eine Entscheidung, verschwindet das Thema für längere Zeit wieder in der verwaltungsinternen Planung. Bis zu den Wahlterminen im September wird es nicht mehr auftauchen. Und sollte es danach starke Argumente gegen die Röhre geben, waren es die Gremien, die diese wollten, während der Oberbürgermeister immer schon Zweifel hatte.
Die Situation ist maximal bequem für Stephan Keller. SPD und Grüne müssen ihm den Gefallen tun und für eine Lösung stimmen, auch wenn sie sich damit eine Angriffsmöglichkeit nehmen.
Kosten werden heute anders gesehen
Stärkstes Argument gegen die Unterführung war und ist die Summe von 40 Millionen Euro, die bisher als Rechnungsbetrag angenommen wird. Davon würde etwas mehr als die Hälfte den städtischen Haushalt belasten.
In einer Hinsicht hat sich die Kalkulation im Vergleich zu früher verbessert. Ursprünglich nahm man an, den Tunnel stark gegen verschmutztes Grundwasser schützen zu müssen. Dies ist aber nach heutigen Erkenntnissen nicht im angenommenen Umfang erforderlich. Zugleich werden die Kosten bis zum Baubeginn noch steigen – das gilt aber sowohl für die Über- als auch die Unterführung.
Entscheidend erscheint in politischer Hinsicht etwas anderes: Der Oberbürgermeister hat mit der neuen Oper und seinem aktuellen Lieblingsprojekt (Bundesstraße in Heerdt im Tunnel) zwei Mal Ausgaben in mindestens dreistelliger Millionenhöhe befürwortet. Da wird es schwierig, den Gerresheimer:innen zu erklären, warum die Stadt nicht in eine Unterführung investiert.
Fazit
Es spricht sehr viel dafür, dass am 21. November beschlossen wird, eine Unterführung in Gerresheim zu planen. Gestoppt werden kann dies nur noch vom Oberbürgermeister oder von der CDU-Fraktion, damit es der Oberbürgermeister nicht selbst machen muss. Beides erscheint mir weniger als ein Jahr vor der Kommunalwahl unwahrscheinlich.