Hungersteine am Rhein: „Wenn Du mich siehst, weine!“

Wer auf der linken Seite des Flusses den Rhein entlanggeht, von Niederkassel an Lörick vorbei Richtung Büderich, wird sie auf jeden Fall bemerken: eine Gruppe von gewaltigen Steinen im Wasser, die unterhalb des Wegs am Rand des Stroms liegen. Vor allem zurzeit sind sie nicht zu übersehen, denn der Rhein leidet an Wassermangel und wurde zum Rinnsal. Daher sind sie buchstäblich auf dem Trockenen. Ihr Name: Hungersteine. Der ist vielen nicht geläufig, vor allem ältere Anwohner kennen die Bezeichnung und ihren Hintergrund. Der Name geht auf frühere Zeiten zurück: Liegen diese Felsen im Trockenen, hat der Fluss mangels Regen zu wenig Wasser. Damals war die Rechnung sehr simpel: Wenig Regen = trockene Böden = schlechte Ernten = Hunger. Wassermangel deutete neben Dürre, Ernteausfall und Hungersnot noch auf ein weiteres Problem hin: Der Rhein war immer Handelsweg, und wenn Schiffe mit Lebensmitteln nicht mehr fahren konnten, folgten oft Versorgungsengpässe. Diese Zeiten sind vorbei, wir hängen beim Anbau von Lebensmitteln nicht mehr nur vom Wetter ab. Aber unter dem Eindruck der Klimakrise und im dritten oder vierten Dürresommer in kurzer Folge scheinen die Steine wie eine düstere Mahnung aus vergangenen Zeiten. Probleme im Frachtverkehr belegen indes ihre Aktualität. Die knapp hinter der Stadtgrenze Düsseldorf/Meerbusch liegenden Brocken sind normalerweise gar nicht oder nur zu einem kleinen Teil zu sehen. Ihre Kuppe ragt bei normalem Pegelstand knapp aus dem Wasser, oft sitzen Möwen oder Kormorane darauf und sonnen sich. An einem hat irgendwann jemand ein Stahlseil befestigt und scheint den Felsen als Anlegeplatz für sein Boot benutzt zu haben. Stabil genug sind sie allemal, jeder wiegt mehrere Tonnen. Vermutlich sind sie bei der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren von den Massen des gefrorenen Wassers dorthin geschleift worden und liegen geblieben, als das Eis schmolz. Ab wann sie ihren Namen tragen, ist nicht mehr nachvollziehbar. Selbst ein Stadthistoriker konnte keine Auskunft zu ihnen geben. Ich selber habe die Bezeichnung erstmals vor vielen Jahren gehört, als ein Nachbar davon berichtete. Er war Landwirt, wie sein Vater und Großvater vor ihm – und er kannte die Bedeutung der Steine sehr genau und aus persönlicher Erfahrung. Viele in den sozialen Medien scheint die Warnung unserer Ahnen zu berühren: So ging in diesen Tagen ein Tweet viral, der einen Elbe-Hungerstein aus dem tschechischen Děčín mit Warnungen auf Deutsch und Tschechisch zeigt: &bdquo;Wenn Du mich siehst, weine!“. Fast 100.000 Likes hat er schon bekommen, Medien in aller Welt haben die Geschichte aufgegriffen, schreibt "Spiegel Online". Berichtet wird von einer alten Inschrift auf einem dieser Steine aus dem Jahr 1417. Auch an anderen Stellen verursachten solche Brocken in den letzten Tagen Schlagzeilen: Bei Leverkusen sind sie, ebenfalls im Rhein, aufgetaucht. Zuletzt hatte man sie 1959 und 2003 gesehen. Sie liegen nahe der Wuppermündung. Eine Ritzung mit Kreuzornamenten verweist auf das Jahr 1959 und sei &bdquo;alle paar Jahre“ sichtbar. Ein Stein daneben erinnert an das Jahr 2003, berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger". Bei Rheindürkheim in der Nähe von Worms hat der niedrige Wasserstand einen Felsen freigelegt, berichtet die "Dürstedter Zeitung". Auf einem ist die Inschrift "Anno 1857" zu lesen, darunter steht "Hungerjahr 1947" und weitere Jahre, in denen der Stein offenbar zu sehen war: 1959, 1963 und &bdquo;Anno 2003“. Das aktuelle Jahr soll nur ergänzt werden, wenn der Pegelstand tiefer fällt als jemals zuvor. Das ist noch nicht der Fall. In der Talsperre Werda im sächsischen Vogtland ist ein Hungerstein aufgetaucht, wie die &bdquo;Freie Presse“ berichtet. Zuletzt sei das 2018 der Fall gewesen. In der Weser sind Hungersteine aufgrund des niedrigen Wasserstands im Oberlauf zum Vorschein gekommen, meldet der &bdquo;Tägliche Anzeiger“ in Holzminden. Aktuell zu sehen ist zudem ein weiterer Hungerstein in der Elbe, der dort erst seit 2015 liegt: südlich von Hamburg, am Bleckeder Hafen in der Nähe des Fähranlegers auf Stromkilometer 550. Seine Inschrift ist optimistischer: &bdquo;Geht dieser Stein unter, wird das Leben wieder bunter.“ Weitere Geschichten zum Rhein Alle Beiträge von VierNull rund um den großen Fluss in Düsseldorf sind hier zu finden. VierNull-Autor Sebastian Brück hat zum anderen Fluss der Stadt, der Düssel, zehn Tipps zusammengestellt.

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