Schießen die Pilze wieder oder haben sie Ladehemmungen?

Viele Pilzenthusiasten prophezeiten im Sommer: Es wird eine grandiose Pilzsaison. Nichts da, sagt der Düsseldorfer Pilzexperte Jürgen Schnieber. Warum nicht und wieso Pilze viel mehr auf der Pfanne haben, als in selbiger zu landen, lesen Sie hier.
Veröffentlicht am 5. Oktober 2021
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Jürgen Schnieber ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und als Pilzkenner in Düsseldorf bekannt. Er weiß, wo sie aus dem Boden sprießen. Vor allem: Er weiß, welche man essen kann, und welche nicht. Foto: Rainer Wald

Läuft nicht gerade rund, die regionale Pilzsaison. Eigentlich gäbe es vor der Haustür ein paar Leckerbissen zu erbeuten – würden sie sich nur endlich zeigen. Neben Champignons, Hallimasche oder Röhrlings-Arten sind bei besten Bedingungen und mit etwas Glück in den Düsseldorfer Wäldern sogar Steinpilze zu finden. Doch derzeit: nahezu nichts, noch nicht einmal hübsche, aber hochgiftige Fliegenpilze. Sagt auch Jürgen Schnieber. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und als Pilzkenner viel in der Natur unterwegs.

Ebenfalls von einer eher schlechten Saison berichtet Markthändler Tobias Schier auf dem Carlsplatz. Er bietet  eine Vielzahl von Pilzarten an, von denen derzeit fast alle aus dem Ausland stammen. Lediglich seine prächtigen Steinpilze kommen aus der Eifel, doch auch dort sei derzeit wenig Beute zu machen, was sich extrem auf den Preis niederschlage. Spricht man mit Schier, merkt man seine große Begeisterung für Pilze. Er habe als Jugendlicher körbeweise Hallimasche (zum Eigengebrauch) im Grafenberger Wald gesammelt, erzählt er. Doch von dieser etwas aufwändiger zuzubereitenden Art – sie muss zunächst gut gekocht werden – sei dort schon seit Jahren nur noch wenig aufzuspüren.

Unsere Waldpilze habe offenbar Wichtigeres zu tun, als uns mit Delikatessen zu verzücken. Richtig gelesen: Die Pilze sind umtriebig, aber nach drei Saure-Gurken-Jahren für die heimischen Wälder womöglich nicht gerade putzmunter. Arten wie der Hallimasch oder das Stockschwämmchen fabrizieren regenschirmartigen Gebilde, die wie eine kleine Siedlung auf Holz wachsen. Viele andere öko-wichtige Pilze operieren im Waldboden.

Pilze sind gewaltig und winzig zugleich: Sie bestehen aus einem sehr feinen Fadengeflecht, das unterirdisch Ausmaße von hunderten Metern Durchmesser annehmen kann. Und die vermeintlichen Stand-Alone-Schwammerl auf unserem menschlichen Pilzsammler-Radar sind ebenso nur ihre Fruchtkörper wie die putzigen Pilzsiedlungen. Wer gleich mehrere Pfifferlinge oder Steinpilze unter einem Baum erbeutet, darf sich dafür also auch bei ein und und demselben Lebewesen im Waldboden bedanken.

Was treiben die Pilze unter Tage?

Was diese Pilzarten unter der Erde veranstalten, geht über das menschtypische Nachbarschaftsverhältnis weit hinaus: Sie leben mit Bäumen in einer Lebensgemeinschaft, arbeiten mit Baumwurzeln zusammen, ernähren sich gegenseitig. Übrigens ist scheinbar der ganze Wald über das Geflecht der unzähligen Pilze vernetzt, was Kenner als „wood wide web“ bezeichnen. Darüber werden nämlich nicht nur Nährstoffe, sondern auch Daten in Form von Botenstoffen übermittelt.

Die Pilze sind ortsfest, bleiben ihrem Baumpartner treu und haben im Grunde keine Überlebenschance, wenn dieser abstirbt oder abgeholzt wird. Dieses Festgetackertsein vor Ort ist hingegen der Trumpf der Pilzsammler: Merken Sie sich die Stelle im Wald, denn dort werden Sie immer wieder hübsche Fruchtkörper derselben Art finden, wenn der Pilz die lebenswichtigen Stoffe zur Verfügung hat. Das Hobby Pilzsammeln als hat also große Ähnlichkeit mit einem Memory-Spiel.

Warum wachsen kaum Leckerbissen in Düsseldorfer Wäldern?

Ob Hobbysammler auf ihre Kosten kommen, hängt von den Randbedingungen ab. Der Sommer 2021 hatte bekanntlich das wann-wird’s-mal-wieder-richtig-Sommer-Problem: zu viel Regen, zu wenig Sonnenstunden. Was Sonnenanbetern die Petersilie verhagelt, elektrisiert Pilzenthusiasten. Geregnet hat es im Sommer reichlich, doch in den heimischen Gefilden schwächeln die Pilze dennoch. Aus anderen Landesteilen werden hingegen grandiose Funde gemeldet. Kurios, oder?

Nicht, wenn man Bodenfeuchtekarten zu Rate zieht. Karten des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (UFZ) dokumentieren das pflanzenverfügbare Wasser bis in 25 Zentimeter Bodentiefe. Ein Blick reicht: Die Böden im Düsseldorfer Raum sind sehr trocken (orange eingefärbt) – und dort, wo Hobbysammler gute Beute machen, zeigt die tiefblaue eingefärbte Karte tatsächlich durchfeuchtete Böden und somit gute Bedingungen. Eine animierte, die vorherigen 14 Tage abbildende Karte auf der Website des UFZ kann Hobbysammlern helfen, die Bodenfeuchtigkeit genau zu beobachten – denn Pilze benötigen ein bis zwei Wochen lang ausreichend viel verfügbares Wasser, um ihre Fruchtkörper zu fabrizieren.

Und? Ist die Saison gelaufen?

Mit ein paar ergiebigen Regentagen kann sich das Blatt in den Düsseldorfer Gefilden also noch wenden, glaubt auch Schnieber. Einige Speisepilze bilden ihre Fruchtkörper im Oktober oder November – und genug Feuchtigkeit zur richtigen Zeit könne deren Wachstum anstoßen und Pilzenthusiasten noch ein paar spätwachsende Prachtexemplare bescheren.

Das Fruchtkörper-Absammeln schwächt die Pilze übrigens nicht so sehr wie die Umweltfaktoren Dürre, Stickstoffeinträge und Bodenverdichtung. Letztere kommt auch durch viele Menschen zustande, die auf immer neuen Pfaden durch den Wald stapfen, biken oder im Unterholz herumstromern. Zum Schutz des sensiblen Ökosystems ist Maßhalten angesagt: Pilze dürfen nur für den Eigenbedarf gesammelt werden – und wer mit mehr als ein bis zwei Kilogramm, aber ohne Pilzsammelschein erwischt wird, riskiert ein Bußgeld.

Was viele Pilzfreunde nicht wissen: Die in Vergesellschaftung mit Bäumen lebenden Pilze lassen sich (noch) nicht züchten. Jeder im Handel angebotene Pfifferling oder Steinpilz ist folglich der Natur entnommen – oftmals in Bayern oder in Osteuropa. Der Düsseldorfer Markthändler Schier betont, aus diesen Regionen keine Pilze zu beziehen, denn die könnten auch 35 Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe noch verstrahlt sein – was übrigens eine österreichische Umweltorganisation im September für österreichische Funde nachgewiesen hat. Er bevorzugt regionale Gebiete wie die Eifel, das Sauerland oder westliche Bezugsländer wie Frankreich oder Portugal. Wildpilze seien deutlich schmackhafter als Zuchtpilze, erklärt er, aber eben nicht wie Zuchtpilze, Erdbeeren oder Spargel saisonal en masse verfügbar. Auch Schnieber plädiert für respektvollen, maßvollen Konsum von kostbaren Steinpilzen und Pfifferlingen.

Vorsicht vor Leichtsinn

Ohnehin ist das muntere Pilzsammeln unerfahrenen Laien nicht angeraten, sagt Schnieber. Eine Menge schmackhafter Pilze haben üble Doppelgänger: zum Verwechseln ähnlich aussehende, aber giftige Pilze, die man eindeutig voneinander unterscheiden können sollte. Als Laie lediglich mit einem Erkennungsbuch oder einer App bewaffnet Pilze zu sammeln, sei lebensgefährlich. Schnieber warnt: „Immer dann, wenn ich in ein Buch gucken muss, um einen Pilz kennenzulernen, darf das kein Speisepilz für mich sein – denn ich kenne ihn ja nicht!“ Schnieber erklärt die große Verwechslungsgefahr anhand des Gifthäublings. Der Name ist Programm. Dieser sehe fast genauso aus wie das delikate Stockschwämmchen, mitunter fände man diese beiden sogar direkt nebeneinander auf demselben Totholz wachsend.

Wer heimische Pilze genauer kennenlernen oder mehr über das Ökosystem Wald erfahren möchte, kann an einer Exkursion teilnehmen. Das Gartenamt der Stadt Düsseldorf hat in diesem Herbst mehrere Exkursionen im Programm. Allerdings gibt es wegen Corona eine strenge Teilnehmerbeschränkung und mitgehen darf nur, wer angemeldet ist.

Weiterführende Links

Das Düsseldorfer Gartenamt bietet Exkursionen zum Thema an, das Programm ist hier zu finden.

Die Bodenfeuchte-Zustandskarten des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (Karten: „pflanzenverfügbares Wasser bis 25 cm“), kann man für NRW hier herunterladen.

Die Instagramseite des Pilz-Fotografen Tôn Thất Quỳnh Lợi steht hier.


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