Roller, Röcke, Rocker

Eins vorab: Ich glaube weder an Chemtrails noch an eine Weltverschwörung von Reptiloiden, angeführt von Angela Merkel, genährt vom Blut in unterirdischen Höhlen gemeuchelter Kinder. QAnon-Denker halte ich für durchgeknallt, und ich vermute nicht nur, sondern ich weiß und bin damit einer Meinung mit anderen Medienkennern, wie geradezu lächerlich der Gedanke von gut organisiert und zentral gelenkten Zeitungen oder TV-Sendern ist. Immer, wenn ich sowas höre oder lese, stellt sich mir die Fragen nach dem, was in den Köpfen jener Menschen vorgeht, für die das alles Realität ist. Warum ich das erwähne? Weil ich bei meinem langsamen Weg durch die Stadt genauso ratlos vor dem Phänomen der herumstehenden E-Scooter stehe. Offenbar gedankenlos irgendwo abgestellt, sehe ich sie zu dritt oder viert quer auf Fußwegen, womöglich hinterlassen von – Achtung, Wortspiel! - Querdenkern. Sie blockieren Hauseingänge, und anscheinend werden Dutzende in den Kö-Graben geworfen. Da sie nur zu mieten sind, damit keinem der Nutzer gehören, genießen sie offenbar bei vielen nicht den Respekt von selbst erworbenem Eigentum. Das empört besonders ältere Menschen. Und Jüngere? Könnte es sein, dass die Generation der unter 30-Jährigen und die der über 50-Jährigen auf dieselbe Sache schauen, aber sie absolut anders beurteilen? Was durchaus Konfliktpotenzial hätte, weil die Frage &bdquo;Was geht in deren Köpfen vor?“ so leicht nicht zu beantworten ist. Wer eine gewisse Altersgrenze überschritten hat, der wird zustimmend nicken, wenn er hört, wie man bei der Polizei und im Rathaus gegen diese Form von Verhaltensverwahrlosung vorgehen will. Nämlich mit Verboten und Strafen. Vom Zweifel abgesehen, ob das was bringt, ist der Blick jüngerer Leute auf diese Unsitte ein anderer, man könnte auch sagen: ein toleranterer, vielleicht auch ein gleichgültigerer oder jedenfalls gelassenerer. Sie sind zwar auch genervt, wenn sie über rumliegende Zweiräder stolpern, sehen darin aber weniger ein Riesenärgernis. Ihre Reaktion ist ein achselzuckendes &bdquo;Ist halt so“. Ähnlich wie Hundehaufen auf dem Gehweg. Will keiner, muss man aber manchmal naserümpfend hinnehmen. Drohende Strafen haben da ebenfalls nicht geholfen. Dennoch: was steckt hinter dieser so unterschiedlichen Einschätzung? Ist der Ärger über verstreute Scooter in Wahrheit das Symptom einer von Angst geprägten Ablehnung dieser neuen Form von Mobilität, deren Erfolg ohne digitalen Hintergrund undenkbar wäre? Mit anderen Worten: Wer alt ist, den schüchtert diese Form der Fortbewegung ein – erstens, weil er/sie meint es nicht zu schaffen, sich die passende App aufs (Senioren-)Handy zu laden, und erst danach, also zweitens aus Furcht vor einem Sturz mit diesen ziemlich flotten Dingern. Mir fällt dazu der Autor Samuel Koch ein, der im Oktober 2019 in der "Welt am Sonntag" einen provokanten Text mit dem Titel &bdquo;Wir sind ein anderes Modell Mensch“ veröffentlichte. Darin bescheinigt er als digital native, verkürzt dargestellt, den geistig zu langsamen Älteren die Unfähigkeit, sich auf das neue, immer schneller rotierende digitale Knowhow einzustellen und fordert sie allen Ernstes auf, beiseite zu treten und Jüngeren Platz zu machen. Wie das geschehen soll, ob er etwa freiwilliges sozialverträgliches Frühableben präferieren würde, lässt er offen. Bedauernd stellt er am Rande noch fest, dass die über 50-Jährigen leider über das Geld verfügen, das den Jüngeren oft fehlt. Ähnlich formuliert der knapp 30-Jährige es in seinem Buch &bdquo;Die Welt, die ihr nicht versteht“. Die Resonanz war entsprechend, der junge Mann wurde gebührend beschimpft, nicht nur von Josef und Käthe, sondern auch von Mats und Sophie. Natürlich war das Ganze unter anderem ein Werbegag, trotzdem an kalter Arroganz und Menschenfeindlichkeit nicht zu überbieten. Im Grunde Altersdiskriminierung in Reinform. Womit wir bei zwei entscheidenden Merkmalen funktionierender Gesellschaften wären: Toleranz und Solidarität. Lässt eine Seite, oder gar beide, diese Eigenschaften vermissen, sind wir auf einem heiklen Weg, der am Ende schlecht für alle Beteiligten ist. Nun möchte ich anhand von ein paar im Weg liegenden Rollern nicht gleich einen Krieg Junge gegen Alte prophezeien, zumal es solche Konflikte schon immer gegeben hat. Die Alten von heute waren die Jugend der 1960er und 1970er Jahre, und auch sie erfüllten damals oft die Alpträume ihrer Eltern. Ich weiß das, ich war dabei und erinnere mich gut, teilweise breit grinsend, teilweise schaudernd. Rockmusik, lange Haare bei Männern in hautengen Jeans und (bewusst!) deutlichem Abdruck des Gemächts, Mädchen ohne BH, aber mit Antibabypille, 68er-Demos, RAF-Terror – alles von jungem Volk ersonnen, hartnäckig durch- und umgesetzt. Aufgehört hat das nie, sich nur verändert. Es folgten Punk, Techno-Musik, Demos gegen den Nato-Doppelbeschluss und – aktuell – Fridays for future, das dritte Geschlecht &bdquo;divers“, gegenderte Sprache und das oft belächelte Kreisen um Begriffe wie Gluten, Lactose oder Vegan. Worte, die ich bis vor ein paar Jahren noch nie gehört hatte. Klar: Die meisten der einst Aufmüpfigen fahren heute SUV, haben Karriere gemacht, sind verbeamtet oder freuen sich darauf, bald die letzte Rate für ihre Doppelhaus-Hälfte im bürgerlichen Umfeld bezahlt zu haben. Aber sie haben in ihrer Zeit dennoch viel bewegt, was die jeweils Älteren mit gewissem zeitlichem Verzug durchaus anerkannten: Anti-Kriegsdemos wie gegen Vietnam haben die Amis beeindruckt, gegen atomare Rüstung zu sein wurde zum Gebot der Politik, in Gorleben wurde nie Atommüll gelagert, Klimaschutz ist heute im Bewusstsein der Menschen angekommen, und sich überlegter mit unserer Nahrung auseinander zu setzen hat die Qualität vieler Lebensmittel verbessert, und – in Ansätzen – auch das Leben von Nutztieren. Kommen wir zurück zu den Rollern. Wenn sie den Weg blockieren, gedankenlos stehengelassen werden, nervt das auch 20-Jährige, wie mir einige aus meinem persönlichen Umfeld bestätigen. Der wichtige Unterschied zu meiner Generation (über 60) ist jedoch der an diesen Vehikeln festzumachende andere Umgang mit Mobilität. Die Jungen nutzen sie (oder die Miet-Bikes oder -Vespas) so selbstverständlich wie unsereiner das Rad oder das Auto. Sich selbst teure Fahrzeuge anzuschaffen ist bei vielen nicht mehr Ziel ihrer Planung, sondern es geht lediglich darum, bequem, schnell und kostengünstig von A nach B zu kommen. Für mich, der sich mehrfach im Leben Autos im Gegenwert von hohen fünfstelligen Summen gekauft hat, ein Gedanke, der mich neuerdings grübeln lässt. Für das, was ich zuletzt für meinen Pkw bezahlt habe, möchte ich gar nicht ausrechnen, wie viele Kilometer damit auf dem E-Scooter machbar wären. Allerdings eben nicht bis an die Nordsee oder über andere, viele hundert Kilometer lange Strecken. Ein Argument, das übrigens auch nicht überzeugt. &bdquo;Dafür kann ich mir ja dann ein Auto mieten!“ Und das auch nur für den Fall, dass eine Zugfahrt nicht möglich ist. Stimmt, aber das wäre nicht mein Ding. Eine Meinungsänderung in ein paar Jahren schließe ich allerdings nicht aus. So oder so – der andere Blick auf die Mobilität hat mich umdenken lassen. Dabei sind mir die Folgen von allzu vielen Autos schon Anfang der1990er Jahre mächtig auf die Stimmung geschlagen und veranlassten mich damals, aus Pempelfort an den Stadtrand zu ziehen: Das allabendliche Herumkreisen auf der Suche nach einem halbwegs legalen Platz fürs Auto war mir zu nervig geworden. Ich habe damals zwar für mich das Problem gelöst, aber meine Lösung war, typisch für Zeit, am Auto orientiert. Nun, gut 30 Jahre später, habe ich – wie es der Zufall will – meinen Arbeitsplatz wieder im selben Stadtteil, und die Parkplatzsituation hat sich nicht verändert. Aber ich gehe nun anders damit um, buchstäblich. Wenn ich einen gründlicheren Blick auf meine Stadt haben und darüber berichten möchte, gehe ich zu Fuß, und die Strecke zwischen meinem Zuhause in Lörick und dem Schreibtisch in Pempelfort fahre ich mit dem Rad – ohne E-Antrieb. Dabei freue ich übers entspannte Fahren, es gibt keinerlei Suche nach einem Abstellplatz und ich habe das Gefühl, mir was Gutes zu tun. Länger als mit dem Auto brauche ich sowieso nicht. Der nächste Schritt wird wohl Car-Sharing oder die App für einen dieser Scooter sein. Warum ich da erst jetzt drauf komme? Wegen der Vorbilder in meinem Umfeld. Die jungen Leute zeigen mir, wie falsch meine Vorbehalte sind – in neun von zehn Fällen steht ein Vehikel um die Ecke, ist also verfügbar, als ob es meins wäre. Die Ausrede &bdquo;Ist mir zu umständlich und unzuverlässig“ zieht also nicht mehr. Mit Toleranz und Geduld hat man mich überzeugt – ohne jeden Konflikt. Man könnte auch sagen: Mein weißer Kopf beugt sich weise der normativen Kraft des Faktischen. Zurück zur oben erwähnten Toleranz. Sie wird in den nächsten Jahren wichtiger sein denn je. Weil nämlich Veränderungen von heute mit denen von vor 40 oder 50 Jahren womöglich noch in ihrer Radikalität vergleichbar sind, nicht aber beim Tempo, in dem sie eintreten und vorübergehen. Vorherige Generationen, also auch ich, hatten stets die Chance, sich an Neues zu gewöhnen. Es kam, wurde akzeptiert, und blieb eine Weile. Zwischen der Erfindung des TV und seiner Verbreitung in Deutschland vergingen mehrere Jahrzehnte, und ab diesem Punkt bis zum Farbfernsehen dauerte es erneut Jahre. 1991 kamen die ersten Handys, das erste Smartphone erst 2007. Heute ist die Veränderung der Normalzustand, nicht die Stagnation. Das ist – unabhängig vom Alter – für alle schwer erträglich, wenn sie, typisch Mensch, von einer Ausdehnung der guten, bequemen Gegenwart in die Zukunft träumen. Oder anders gesagt: Alles soll bleiben, wie es ist. Die Gruppe &bdquo;Ich und ich“ beschreibt es treffend mit ihrem Lied &bdquo;So ist es gut, so soll es bleiben!“. Tut es aber nicht, und damit kämpfen nicht nur die über 60-Jährigen. Und so kommen die Generationen am Ende zusammen an einem Punkt, an dem alle erkennen müssen, wie sich die jeweiligen Betroffenheiten ähneln. Hier die Alten mit...

Roller, Röcke, Rocker

Roller, Röcke, Rocker

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

Kraftwerk, „Autobahn“ und die Welt von 1974

Oberbürgermeister trifft seinen Stimm-Zwilling

Zwei Düsseldorfer Zahnärzte und ihr Lehrling aus Vietnam