Wie unterschiedlich das Anti-Stau-Programm für die Düsseldorfer Altstadt gesehen wird
Man konnte an die Existenz von Paralleluniversen glauben. Wer sich am Wochenende mit der Frage beschäftigte, wie das Anti-Stau-Programm in der Altstadt funktioniert hat, sah so unterschiedliche Bilder, dass sie eigentlich nicht aus demselben Viertel vom selben Wochenende stammen konnten. Bürgermeister Josef Hinkel etwa veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite Fotos, auf denen die Altstadtstraßen so leer erschienen, als würde gerade das WM-Finale laufen. FDP-Chefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann erklärte, „die Altstadt“ sei begeistert und „die Maßnahme“ hervorragend. Andere Beobachter konzentrierten sich in ihrer Bildauswahl auf Staus, vor allem im Kö-Bogen-Tunnel, erklärten das Ganze zum Chaos und für gescheitert.
Ausgelöst hat dieses Duell in Foto und Wort ein Pilotprojekt, das Ordnungsdezernentin Britta Zur kurzfristig gestartet hat (ich habe hier darüber berichtet). Sie sah die akute Gefahr, dass Polizei- und Rettungskräfte wegen der Staus auf der Heinrich-Heine-Allee nicht rechtzeitig zum Einsatzort kommen. Deshalb ließ sie an zwei Stellen Linksabbiege-Möglichkeiten sowie die Fahrspur vor der Polizeiwache an der Ecke Ratinger Straße sperren, die Zufahrt in die Mühlenstraße streng kontrollieren und den Taxistand auf dem Burgplatz in den Wochenend-Nächten streichen.
Wer die Situation an der Heinrich-Heine-Allee kennt, weiß, dass Momentaufnahmen dort wenig bringen. Die Straße sieht mal aus, als wäre Karfreitag, keine Viertelstunde später ist schon wieder dichtes Gedränge. Ich habe deshalb mit vielen Menschen gesprochen, die sich vor Ort ein Bild gemacht haben, und betrachte auf dieser Basis die verschiedenen Aspekte des Pilotprojekts:
Positive Wirkung
- Platz auf der Heinrich-Heine-Allee: Polizei und Rettungswagen haben bessere Startbedingungen. Wenn sie an der Ecke Ratinger Straße auf die Heinrich-Heine-Allee kommen, wird dort für sie die rechte Fahrspur freigehalten. Bis zum Grabbeplatz (Kunstsammlung) kommen die Einsatzkräfte also gut durch. Hinter der Kreuzung gibt es jedoch keine gesperrte Spur mehr. Dann hängt das Tempo sehr davon ab, wie viele Taxen und andere Autos auf der restlichen Heinrich-Heine-Allee unterwegs sind.
- Platz auf der Mühlenstraße: Ab der Ecke, an der das alte Amts- und Landgericht (heute: Andreasquartier) steht, gilt „Anlieger frei“. Ob jemand tatsächlich Anlieger ist oder nur ein Anliegen hat, hat der OSD am Wochenende Auto für Auto geprüft. Dadurch war auf der Zufahrtstraße zum Burgplatz viel weniger los. Auch das hilft Rettungswagen und Polizei.
- Kontrollen wirken: Verbotsschilder gab es vorher schon reichlich in der Altstadt. Sie halfen aber nicht, weil zu selten das Einhalten der Regeln kontrolliert wurde. Das haben Stadt und Polizei nun mit viel Personal geändert und die erhoffte Wirkung erreicht.
Problemstellen
- Kö-Bogen-Tunnel: Wer neben dem Kaufhof aus der Röhre kommt, sollte in Wochenend-Nächten nur noch nach rechts Richtung Opernhaus abbiegen können – es sei denn sie oder er fährt einen Bus der Rheinbahn. Dann war auch das Linksabbiegen (Richtung Carschhaus) möglich. Diese Regelung war nicht eindeutig ausgeschildert, was zu Staus führte, und sie wurde vor allem eingehalten, als an der Absperrung noch ein Polizist stand. Ohne dessen Autorität gab es wieder deutlich mehr Linksabbieger.
- Heinrich-Heine-Allee: Die Taxihalteplätze an der Heinrich-Heine-Allee werden nach wie vor von sehr vielen Taxen und Uber-Fahrzeugen angesteuert, weil zwischen Bolker- und Flinger Straße die meisten Altstadtbesucher:innen einsteigen. Das kann zu Problemen für Polizei und Rettungskräfte führen.
In einem nächsten Schritt müsste man deshalb den Zufluss steuern. Das heißt: Nur eine Höchstzahl von Taxen darf sich auf der Heinrich-Heine-Allee befinden. Weitere Fahrzeuge können zum Beispiel neben der Kunstakademie (Fritz-Röber-Straße) warten und nachrücken, wenn wieder Platz ist. - Linksabbieger auf den Grabbeplatz: Autofahrer:innen sollten nach den neuen Regeln nicht mehr vom Opernhaus zur Kunstsammlung abbiegen können. Das führte zu Stau an dieser Stelle der Heinrich-Heine-Allee, deshalb wurde die Sperrung teilweise wieder aufgehoben – und die Kreuzung wieder voller.
- Wilde Taxistände: Da die Fahrer:innen nicht mehr zum Burgplatz durften, blieben einige von ihnen im Umfeld der Kunstsammlung und eröffnet spontan neue Halteplätze, zum Beispiel auf der schmalen Neubrückstraße.
- Personaleinsatz: Wie beschrieben funktionierten die neuen Regeln vor allem dort, wo auch Ordnungskräfte standen. Da auch an allen anderen Stellen der Altstadt Polizei und OSD präsent waren, lässt dies auf einen hohen Personalaufwand schließen. Es ist offen, wie lange Stadt und Polizei dies durchziehen können. Oder wollen.
Sicherheitsfragen
Die Auflösung des Taxistands auf dem Burgplatz in den Wochenend-Nächten ist von vielen Seiten kritisiert worden, unter anderem von den Altstadtwirten und der Frauenberatungsstelle. Dabei geht es vor allem um Sicherheit und Sicherheitsgefühl. Wenn Gäste zum Beispiel von der Kurzen Straße bis zur Heinrich-Heine-Allee laufen müssen, um ein Taxi zu bekommen, haben sie einen langen Weg mit reichlich gefährlichen Punkten vor sich.
Die Stadt hatte deshalb noch vor dem Start des Pilotprojekts mit dem Hinweis beruhigt, dass man sich weiterhin ein Taxi zum Burgplatz rufen kann. Das scheint nach dem ersten Wochenende zwei Haken zu haben:
- Es ist wohl wirklichkeitsfremd, dass sich jemand ein Taxi an den Burgplatz ruft und dann dort wartet.
- Die Kontrolle an der Mühlenstraße soll nach Beobachtungen manche Fahrer:innen nicht durchgelassen haben, obwohl diese angaben, gerufen worden zu sein.
Folglich hoffen viele meiner Gesprächspartner:innen, dass an dieser Stelle die Regelung verbessert wird. Das heißt: Der Taxiplatz wird wieder geöffnet und zugleich definiert, wie viele Taxen dort maximal zugleich stehen dürfen. Entsprechend dieser Zahl lassen die Kontrolleure an der Absperrung noch Autos rein oder nicht.
Zudem könnten die Taxiunternehmen den Sicherheitskräften Einblick in ihre Daten ermöglichen. Dann könnte man auf einen Blick erkennen, ob ein Fahrzeug tatsächlich zum Burgplatz gerufen wurde.
Schweigender Oberbürgermeister
In der gesamten Debatte und sämtlichen Pressemitteilungen der Stadt zum Thema taucht Stephan Keller nicht auf. Er kennt die Staus auf der Heinrich-Heine-Allee noch aus seiner Zeit als Ordnungs- und Verkehrsdezernent. Man kann also annehmen, dass er ein Interesse daran hat, dass das Problem gelöst wird. Aus derselben Erfahrung weiß er aber auch, wie viele Ansätze dort schon gescheitert sind und dass man ein hohes politisches Risiko eingeht, wenn man damit in Verbindung gebracht wird.
Die beste Warnung in dieser Hinsicht erhielt der heutige Oberbürgermeister von seinem Vorgänger Thomas Geisel. Der eröffnete 2020 einen Pop-up-Radweg am Rheinufer. Beschlossen hatte diesen der Verkehrsausschuss, der Ärger für die misslungene Route traf aber ausschließlich den Verwaltungschef, der wenige Monate später abgewählt wurde.
Folglich geht der schweigende Oberbürgermeister politisch umsichtig vor. Sollte das Pilotprojekt scheitern, war er weit genug davon entfernt. Sollte es ein Erfolg werden, kann er den Beigeordneten dazu gratulieren und sich so damit verbinden.
Fazit
Von den Menschen mit dem Hang zur fotografischen Dokumentation ihrer Meinung zur Altstadt, haben weder die einen noch die anderen Recht. Es gab Fortschritte am Wochenende, sie sind jedoch mit einem „aber“ versehen.
Es gibt mehr Platz auf einigen Straßenabschnitten für Polizei und Rettungskräfte, zudem zeigen Kontrollen deutliche Wirkung. Stellen, an denen es Probleme gab, sind erkannt, und es gibt Ideen, was man dort anders machen kann.
Aber der Preis für diese Fortschritte ist hoch: Das Verhältnis zwischen Ordnungsdezernentin Britta Zur und wesentlichen Akteur:innen (Politik, Wirte, Altstadt-Gemeinschaft, Taxi-Unternehmen) ist belastet, weil letztere sehr kurzfristig informiert wurden und keine Möglichkeiten hatten, das Konzept mit zu besprechen. Zudem waren am Wochenende so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Polizei und Stadt im Einsatz, dass sich viele Beobachter fragen, wie lange man das durchhalten kann. Schließlich hieß es bis zu diesem Pilotprojekt von den Beteiligten stets „Wir würden ja gerne, aber wir haben leider nicht genügend Leute dafür“.