Bilker Arcaden: Das missratene Erbe des Joachim Erwin
In den frühen 2000er Jahren entstand der Plan, das in großen Teilen brachliegende Gelände des alten Bilker Bahnhofs zu bebauen. Büros, Wohnungen, ein Einkaufszentrum – schnell wurden die Ideen konkret. Zugleich wuchs die Skepsis: Was brauchen wir da, was nutzt den Anwohnern, sind die Interessen des Einzelhandels berücksichtigt? Joachim Erwin, seit 1999 Oberbürgermeister, setzte auf ein Zentrum fürs Shoppen. Die Pläne seien zu wuchtig, lautete die Kritik, man müsse kleiner bauen, um die benachbarten Kaufleute nicht platt zu machen. Ein zähes Hickhack um jeden Quadratmeter Verkaufsfläche begann, und am Ende schaffte es Erwin, mit 41 zu 39 Stimmen im Rat eine Mehrheit zu bekommen. Unter fragwürdigen Umständen entstanden die so genannten Düsseldorf Arcaden. Im Volksmund hießen und heißen sie Bilker Arcaden.
Mittlerweile hat sich die Einkaufswelt massiv verändert und es stellt sich diese Frage: Haben Shopping-Malls eine Halbwertzeit? Also eine Frist, an deren Ende sie langsam veröden und irgendwann final schließen? Wenn ja, dann lernen wir gerade, dass diese Zeit immer kürzer wird. Die Kö-Galerie wurde 1986 eröffnet. Das ist 38 Jahre her, und nun siecht sie dahin. Ähnliches gilt für die Schadow Arkaden. 1994 gingen sie an den Start, und heute steht das Gebäude vor grundlegenden Sanierungen und Umbauten, wie es heißt. 30 Jahre hat es gebraucht, bis der einstige Glanz verblasste und sich die Einsicht für grundlegende Neuerungen durchsetzte.
Bei den Bilker Arcaden ging es deutlich schneller. Im September 2008 öffneten darin die Geschäfte. Und nun, nach nur 16 Jahren, steht das Gesamtkonzept zur Disposition. Alles ist möglich: Umbau, Ausbau, teilweiser Rückbau. Nur das Wort Abriss mag (noch) keiner in den Mund nehmen.
Auf jeden Fall werden die Stadt, der Eigentümer (der US-Immobilienentwickler Hines) und die Anwohner sich mit der Frage beschäftigen, was aus den Bilker Arkaden und dem unmittelbaren Umfeld wird. Ein Workshop soll demnächst die Antworten liefern. Dass es so weit kommt, ist einer in allerschönster Verwaltungsprosa verfassten Vorlage für den zuständigen Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung zu entnehmen. Man muss jedoch konzentriert lesen, um zu verstehen, was wirklich gemeint ist.
Dort heißt es nach einer Bestandsaufnahme: „Die Ergebnisse dieser Analyse zeigen, dass es einer Weiterentwicklung bedarf. Die öffentlich zugänglichen Bereiche vor den Düsseldorf-Bilk-Arcaden und der Parkplatz auf der Kauflandfläche weisen einen hohen Versiegelungsgrad auf, der sich in den Sommermonaten als stadtklimatisch hochbelasteter Bereich aufheizt. Die Freibereiche auf und hinter dem Einkaufszentrum bedürfen einer stärkeren Öffnung und Aufwertung sowie Lärmschutz. Die bisherigen Einzelhandelsflächen Düsseldorf-Bilk-Arcaden und die Kauflandfläche haben untergenutzte Bereiche und können bei einer Neuausrichtung Raum für eine erweiterte Nutzungsmischung bieten.“
Zusammengefasst lesen wir hier das Eingeständnis, dass die Bilker Arcaden und ihr unmittelbares Umfeld schlicht gescheitert sind und die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Übersetzung dieser Mitteilung:
Bedarf einer Weiterentwicklung = Es muss sich etwas verändern.
Hoher Versiegelungsgrad = Die riesige, plattierte Fläche vor dem Haus anzulegen, war ein Fehler, weil sie im Sommer eine enorme Hitze abstrahlt und deshalb wenig einladend ist. Im Winter übrigens auch nicht.
Untergenutzte Bereiche der Einzelhandelsflächen = dramatischer Leerstand
Raum für erweiterte Nutzungsmischung = weniger Läden, dafür andere Nutzung, zum Beispiel Raum für die Menschen im Viertel. Oder Wohnungen. Sie wären in Bilk und Friedrichstadt heute begehrter denn je.
In dem Papier, in dem man nun vorschlägt, sich Gedanken über eine Neu-Ausrichtung zu machen, ist ausdrücklich das gesamte Areal inklusive des gegenüberliegenden Bereichs des Supermarkts Kaufland mit dem davor liegenden Parkplatz erwähnt. Offenbar will man, wenn überhaupt, die ganz große Lösung und einen städtebaulichen Schwerpunkt setzen. Die Bedürfnisse der Menschen sollen im Vordergrund stehen, unter alternativen Nutzungen ist ausdrücklich auch zusätzlicher Wohnraum gemeint. Der Ausschuss nahm das Papier einstimmig an. Damit hat Düsseldorfs Verwaltung nun den Auftrag der Politik, eine Meinungsbildung auf den Weg zu bringen.
Wer bereits Anfang der 2000er Jahre das gesamte Projekt kritisch sah, wird sich heute bestätigt fühlen. Zwar hatte der damalige Bauherr mfi (ein Essener Konzern, der bundesweit Einkaufszentren baute) als Zugeständnis ein Bürgerbüro, eine Bibliothek und ein Schwimmbad gebaut, aber die versprochenen über 200 Wohnungen sind nie errichtet worden. Lediglich wenig mehr als ein Dutzend. Weil dieser Vertragsbestandteil nicht erfüllt wurde, gab es eine Strafe von 120.000 Euro. Peanuts für das Unternehmen.
Dass die Arcaden überhaupt genehmigt wurden, ist mehr als dubios. Im Stadtrat gab es eigentlich eine Mehrheit dagegen. SPD, FDP und Grüne wollten nicht, und allein hätte die damals größte Fraktion, die CDU, niemals ein Votum für den Bau bekommen. Aber in der alles entscheidenden Ratssitzung am 22. Juni 2006 kam es zu einer unerwarteten Situation: CDU-Ratsherr Alexander Fils beantragte geheime Abstimmung, und da es den Konsens gibt, einem solchen Antrag stets zuzustimmen, wurde diese erlaubt.
Nie werde ich vergessen, wie Joachim Erwin sich verhielt: Angestrengt beiläufig und wie gelangweilt blätterte er in Ratsunterlagen, während die Abstimmung lief. Am Ende gab es eine knappe Zustimmung für die Arcaden. Offenbar hatten Ratsleute der SPD oder der FDP, entgegen vorheriger Probeabstimmungen, nun doch mit der Union votiert und Erwin seinen Wunsch erfüllt. Wie es dazu kam, ist nie geklärt worden. Die harmloseste Erklärung lautete, den für Bilk zuständigen SPD-Ratsleuten seien Zugeständnisse wie Schwimmbad, Bücherei und Bürgerbüro gemacht worden.
Natürlich gab es auch Gerüchte, Geld sei geflossen. Immerhin ging es um ein Bauvolumen im dreistelligen Millionenbereich. Dass die mit Erwin familiär verbundene Firma Schüssler-Plan die Baubetreuung bekam, befeuerte das Gerede über Gekungel zusätzlich.
Der von vielen Gegnern befürchtete Kahlschlag im benachbarten Einzelhandel der Friedrichstraße fand allerdings nicht statt. In der Nähe der Arcaden ging es den Kaufleuten verhältnismäßig gut, vorher und nachher. Die heutigen Probleme der Friedrichstraße entstanden weiter weg Richtung Innenstadt. Sie wurden nicht von den Arcaden, sondern von einer Serie verschiedener Baustellen ausgelöst, die etliche Händler in den Ruin trieben.
Dass ein Konstrukt wie die Arcaden heute nicht mehr funktioniert, ist grundlegenden Problemen geschuldet: verändertes Kaufverhalten, falscher Branchenmix, zu wenige Angebote für ein verändertes Freizeitverhalten. Zudem haben sich die benachbarten Wohnviertel anders entwickelt, als damals erwartet. Vor allem Unterbilk und Bilk wurden zur bevorzugten Adresse einer Klientel, deren Anspruch in einem tristen Betonklotz mit Angeboten im unteren Konsum-Level nicht befriedigt werden kann.
Die Firma mfi hatte sich schon vor Fertigstellung davon gemacht. Wie bei solchen Investitionen üblich. Das Gebäude wurde 2006 an einen kanadischen Investor namens Ivanhoe Cambridge weiterverkauft. Der behielt es bis 2015 und gab es weiter an Hines. Und dieses Unternehmen will nun, gemeinsam mit der Stadt, eine neue Struktur des gesamten Areals schaffen.