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Darum geht es jetzt bei Vallourec – und darum wohl nicht mehr

Das Werk des Röhrenherstellers in Rath soll bis Ende 2023 geschlossen werden. Hoffnungen, dass Vallourec doch noch weiter macht oder verkauft, sind inzwischen dahin. Die Belegschaft muss sich nun auf ein Ziel konzentrieren – und fürchtet dabei einen Fehler der Politik.
Veröffentlicht am 22. Juli 2022
Vallourec Düsseldorf-Rath
Die Einfahrt des Vallourec-Werks in Rath - und im Hintergrund zwei Kreuze. Foto: Johannes Boventer

Die traurige Gewissheit kam mit der Bilanzpressekonferenz. Mitte Mai verkündete die Unternehmensspitze von Vallourec, die Röhrenwerke im Düsseldorfer Stadtteil Rath und in der Nachbarstadt Mülheim zu schließen. Das betrifft an beiden Standorten insgesamt rund 2400 Beschäftigte. Angebahnt hatte sich diese Entscheidung bereits im November. Damals erklärte Vallourec, es wolle die Werke verkaufen. Finde sich innerhalb eines halben Jahres kein Abnehmer, müsse man schließen. Danach gab es noch die Hoffnung, dass ein solcher Verkauf gelingt oder die Konzernführung doch mit einer deutlich kleineren Mannschaft weitermacht oder der Staat ins Unternehmen einsteigt.

Diese verschiedenen Formen der Rettung sind theoretisch immer noch möglich, allerdings nach den Erfahrungen der vergangenen Monate nicht mehr wahrscheinlich. Deshalb müssen die Betroffenen ihren Fokus verschieben. Worauf es nun ankommt, habe ich im Gespräch mit dem Vallourec-Betriebsratsvorsitzenden Vilson Gegic erörtert.

Worum es jetzt geht

Die Beschäftigten Man muss zunächst einen grundlegenden Punkt verstehen. Die Belegschaft von Vallourec besteht aus zwei verschiedenen Gruppen: Fachkräften und Facharbeiter:innen. Fachkräfte sind Vertreter:innen hochspezialisierter Berufe. Sie sind mit ihren Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt begehrt und werden sich deshalb voraussichtlich wenig Sorgen machen müssen, eine neue Stelle zu finden. Wobei dies nicht heißt, dass sie dabei auch das Gleiche verdienen wie bei Vallourec.

Facharbeiter:innen sind Menschen, die meist eine Ausbildung absolviert haben, im Werk aber vor allem darauf spezialisiert sind, eine komplizierte Anlage oder Maschine zu führen. Auch das sind anspruchsvolle Aufgaben, aber sie werden auf dem Arbeitsmarkt nicht wie eine Ausbildung oder die Ausübung eines bestimmten Berufs angesehen. Die Fähigkeiten gelten für einen speziellen Ablauf, den es so in anderen Unternehmen nicht gibt. Oft üben die Betroffenen ihre Arbeit schon seit vielen Jahren aus. Sie müssen die Fähigkeiten aus ihrer Ausbildung nach langer Zeit wieder auffrischen oder eine Umschulung absolvieren, um wieder gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.

Das bedeutet für die Facharbeiter:innen zweierlei:

  1. Sie können in eine andere Branche wechseln, in der sie nach kurzen Schulungen anfangen können, zum Beispiel in den Logistikzentren des Internethandels oder bei Sicherheitsfirmen. Das bedeutet merkliche Einbußen beim Gehalt und später bei der Rente.
  2. Oder sie nehmen sich Zeit – um die Umstellung zu verkraften und um Neues zu lernen. Auch dann werden ihre Löhne voraussichtlich niedriger sein als bei Vallourec, aber nicht so gering wie bei den gerade beschriebenen Jobs.

Beide Möglichkeiten haben eines gemeinsam: Es braucht einen guten Sozialplan, um die Umstellung für die Betroffenen zu erleichtern und ihnen die Zeit zu verschaffen, die sie brauchen.

Der Sozialplan Um den Beschäftigten passend zu helfen, braucht es verschiedene Angebote. Ein Großteil der Belegschaft war noch keinen Tag arbeitslos im Leben und/oder ist seit Jahrzehnten bei Vallourec beziehungsweise vorher Mannesmann. Viele davon schließen aus, sich bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend zu melden oder in eine Transfergesellschaft zu gehen. Für sie muss der Sozialplan gute Abfindungen und ähnliche Überbrückungsmöglichkeiten vorsehen. Für diejenigen, die sich Umschulungen wünschen oder zumindest vorstellen können, benötigt man eine Transfergesellschaft. Und für ältere Beschäftigte eine Regelung bis zur Rente.

Folglich geht es für die Arbeitnehmervertreter:innen nun vor allem darum, einen gut ausgestatteten Sozialplan zu verhandeln. Die bisherigen Gespräche dazu verliefen nach ihrer Schilderung zäh. Sollte es in absehbarer Zeit keine Fortschritte geben, könnte die Situation eintreten, dass in einem Werk, das bald schließt, gestreikt wird.

Dass der Sozialplan finanziell gut ausgestattet wird, hängt wesentlich davon ab, welche Einnahmen Vallourec beim Verkauf der Grundstücke in Rath erzielt – und welche Vorgaben dazu aus der Politik kommen.

Der Grundstücksverkauf Das Gelände in Rath ist rund 900.000 Quadratmeter groß und besteht aus verschiedenen Abschnitten, die einzeln oder gebündelt verkauft werden können. Aktuell handelt es sich um Flächen, die als Industriegebiet ausgewiesen sind. Folglich kann Vallourec sie nur an Industrieunternehmen verkaufen – und auch nur zu Preisen, die für Industrieflächen üblich sind. Diese sind niedriger als bei Gewerbeflächen oder Wohngebieten.

Das ist die Stelle, an der die Politik ins Spiel kommt. Der Stadtrat hat sich in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause einer Resolution der zuständigen Bezirksvertretung 6 angeschlossen. Darin sichern die Politiker:innen den Betroffenen Unterstützung und Anteilnahme zu. Sie wollen sich für den Erhalt des Betriebs einsetzen, Bundes- und Landesregierung in die Pflicht nehmen und sich, wenn der Erhalt nicht gelingt, für einen guten Sozialplan einsetzen. Außerdem fordern sie, die betroffene Fläche dauerhaft für produzierendes Gewerbe zu sichern. „Allen Überlegungen zu anderen Nutzungsarten und damit zur Spekulation über Grundstückswerte sollte eine Absage erteilt werden“, heißt es im Beschluss.

Damit wollten die Ratsmitglieder ein Zeichen für den Industrie-Standort setzen und den Beschäftigten Unterstützung signalisieren. So ehrenwert das Motiv ist, so kompliziert sind die Folgen. Einerseits: Bleibt Industrie auf dieser Fläche bestehen, könnten dort auch jetzige Beschäftigte von Vallourec eine neue Arbeit finden. Andererseits: Können die Grundstücke nur zum niedrigeren Industriegebiet-Preis verkauft werden, ist deutlich weniger Geld im Topf für den Sozialplan. Deshalb wäre mindestens eine flexible Lösung für die Flächen wichtig für die Belegschaft.

Einmaliges Wissen erhalten Die Geschichte von nahtlosen Röhren sowie den Erfindungen und Patenten dazu reicht ins 19. Jahrhundert zurück, bis zu den Anfängen von Mannesmann. In dieser Zeit ist in Düsseldorf unglaublich viel Know-How gesammelt worden, das es so kein zweites Mal auf dieser Welt gibt. Und das in seiner jetzigen Form verloren geht, wenn das Werk in Rath geschlossen wird. Das ist insofern besonders bitter, als nahtlose Rohre eine herausragende Rolle bei der Energiewende spielen, zum Beispiel für den Transport von Wasserstoff.

Ausgerechnet in einer Situation also, in der Deutschland anfängt, seine Energieversorgung komplett umzustellen, verschwindet das dabei dringend erforderliche Wissen vom Kontinent. Vallourec nimmt es soweit möglich mit an seinen neuen Standort in Brasilien, vergleichbare Anbieter gibt es in Europa nicht. In der Folge würde Deutschland beim Bau der Infrastruktur für die Energiewende abhängig von Brasilien, einem Land, dessen populistischer Präsident Jair Bolsonaro die Gefahr birgt, Lieferungen zu stoppen oder mit heftigen Auflagen zu versehen.

Es müsste der Bundesregierung und der EU-Kommission sehr daran gelegen sein, das Wissen hier zu bewahren. Darum sollte es in den kommenden Monaten gehen – dennoch bin ich nicht sicher, ob dieser Punkt hier richtig steht oder in die Rubrik „Worum es nicht mehr geht“ gehört.

Worum es nicht mehr geht

Fortführung Aus der Belegschaft und vom Betriebsrat gab es verschiedene Vorschläge, wie Vallourec hier weitermachen könnte. Nach eigenen Angaben waren die Arbeitnehmer-Vertreter:innen dabei zu ungewöhnlich großen Einschnitten bei der Beschäftigtenzahl bereit. Die Unternehmensleitung hat diese Vorschläge nicht aufgegriffen. Sie verweist darauf, dass der Standort seit mehreren Jahren nicht profitabel sei. Ein Standort in Brasilien soll sich dem Vernehmen nach viel besser rechnen.

Verkauf Es gab mehrere Interessenten für die Übernahme des Standorts, letztlich aber keinen Abschluss. Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle: Vallourec kann kein großes Interesse daran haben, sich einen Konkurrenten in Europa zu schaffen. Die Absatzmöglichkeiten des Werks in Brasilien sind besser, wenn es hier nichts Vergleichbares gibt. Kritiker:innen sagen, Vallourec habe deshalb nie eine ernsthafte Absicht gehabt, das Werk zu verkaufen. Danach wäre nur noch ein Geschäft mit jemandem in Betracht gekommen, der am Standort etwas anderes produziert – was die Sache wiederum für mögliche Käufer schwierig macht.

Einstieg des Staates Im Zusammenhang mit einem Verkauf hatten die Arbeitnehmer auch an die Politik (EU, Bundes- und Landesregierung) appelliert, bei Vallourec einzusteigen und sich so auch das oben genannte Wissen zu sichern. Aus den Hauptstädten kamen aber frühzeitig Reaktionen, die mit dem Werk an sich schon abgeschlossen hatten. Man müsse jetzt vor allem dafür sorgen, dass es einen guten Sozialplan gebe, hieß es dann.

Auf einen Brief, den er Ende Mai an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geschrieben hat, erhielt der Vallourec-Betriebsratsvorsitzende Vilson Gegic bis heute keine Antwort.


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