Der mysteriöse Händler, der unbedingt mein Auto kaufen möchte
Am anderen Ende der Leitung ist eine Männerstimme zu hören. „Ja?“ Ich stelle mich als Journalist vor, sage, dass ich immer wieder sein Kärtchen an meiner Windschutzscheibe gefunden habe und nun herausfinden möchte, wer eigentlich dahintersteckt. Der Mann versteht nicht ganz und fragt stattdessen mehrfach nach Modell und Baujahr meines Wagens. Er klingt irritiert. „Wollen Sie jetzt Ihr Auto verkaufen? Sonst haben wir nichts zu sagen.“ Der Mann bestätigt mir noch, dass er aus Bochum kommt und angeblich „überall“ aktiv sei. Dann legt er auf.
Ich fahre einen neun Jahre alten Ford Fiesta. Kein Auto, das in Großstadt-Parkbuchten sonderlich auffällt. Aber offensichtlich ein Auto, an dem ein bestimmter Gebrauchtwagenhändler seit Jahren großes Interesse hat. In unregelmäßigen Abständen finde ich an meiner Scheibe das Kärtchen von „Automobile Rami“. Darauf zu sehen: eine Handynummer, eine Deutschlandflagge, das Foto eines weißen SUVs und mehrere Sätze, die mir vermitteln sollen, dass da jemand meinen Wagen „so wie steht“ sofort kaufen und bar bezahlen möchte. TÜV? Nicht notwendig. Irgendwann, beim Blick auf die letzten fünf Rami-Kärtchen, die sich in der Ablage neben meinem Fahrersitz stapelten, kam in mir eine Frage auf. Was wäre eigentlich, wenn ich dort wirklich mal anriefe? Was passiert dann mit meinem Fiesta?
Vor meinem Anruf recherchierte ich. Ich fand nirgendwo einen Hinweis darauf, dass es überhaupt ein zu meinen Kärtchen passendes Unternehmen unter dem Namen „Automobile Rami“ gibt. Also suchte ich stattdessen nach der angegebenen Handynummer und stieß auf andere Autohandel-Websites. Eine gab 23 verschiedene Standorte an. Eine andere konzentrierte sich auf Nordrhein-Westfalen, die dort angegebenen Kontaktdaten führten jedoch zur selben Person in Bochum. Die stand wiederum im Impressum weiterer Seiten, mit anderen Telefonnummern und wieder anderen Mailadressen. Sogar die Adresse der Person variierte je nach Seite. Und es gab mehrere Menschen mit demselben Nachnamen, die in derselben Gegend demselben Geschäft nachgingen. Kurzum, ich war verwirrt. Also rief ich Andreas Krämer an.
„Das ist typisch für solche Kärtchen-Händler“, sagt Krämer gleich, als ich ihm von meinen Erfahrungen berichte. Der Unternehmer und Automobilist ist seit 30 Jahren in der Branche tätig und kennt sich in all ihren Spielarten sehr gut aus. Auch mit den Mitbewerbern, die ihren Handel über Kärtchen an Windschutzscheiben betreiben. „Das ist grundsätzlich ein Thema, das Fragen aufwirft.“ Schon die Werbeverteilung sei oft nicht zulässig, weil es hierfür eine Sondernutzungs-Genehmigung geben müsse, die kaum jemand wirklich beantragt. Die angegebenen Nummern seien in der Regel als Prepaid-Karten kaum nachzuverfolgen, ein eingetragenes Gewerbe stecke in den meisten Fällen nicht dahinter. Nur findige Privatleute, die oft gut vernetzt sind. „Die fummeln untereinander“, sagt Krämer. So entstehen dann wohl auch Internetseiten von Händlern, die angeblich deutschlandweit agieren. „Jemanden, der das profimäßig macht, kenne ich nicht.“
Die Adressen, die ich zu meinem Händler finde, liegen alle in derselben Bochumer Vorstadtgegend. Ich schaue mir die Aufnahmen an, die ein großer Internetkonzern dort angefertigt hat. Ich sehe: globige Mehrfamilien-Kastenbauten an einer Hauptstraße, eine nahe Unterführung. Ich sehe nicht: ein Gewerbegebiet, Freiflächen oder einen Parkplatz, auf dem sich angekaufte Autos abstellen ließen. Auch an den Adressen vielen der Nachnamensvettern meines Händlers sieht es ähnlich aus. Immer wieder lande ich in Mehrfamilienhaus-Wohngegenden, nur einmal wirklich auf einem Schotterparkplatz mit dem Schild „Autohandel Export“. Unter dem Namen meines Händlers gibt es zudem eine Instagram-Seite mit vier Beiträgen, alle an einem Tag im Februar 2022 hochgeladen. Dort sind Autos auf einem von Gras überwucherten Parkplatz zu sehen. Laut Beschreibung sollen die Bilder in Herne entstanden sein. Die angegebene Internetadresse, unter einem wieder anderen Firmennamen, führt ins Nichts.
Auch hierüber ist Krämer nicht überrascht. Die „Kärtchen-Händler“ kauften die Autos in der Regel nicht an, um sie in Deutschland zu präsentieren und gewinnbringend weiterzuverkaufen, sagt er. Entweder sie zerlegen sie an Ort und Stelle und vertreiben die Ersatzteile oder sie bringen die Wagen ins Nicht-EU-Ausland – „ohne große Auflagen“. Autos wie mein Fiesta sind wohl eher etwas für den osteuropäischen Markt, die noch älteren und kaum noch fahrbereiten Wagen werden nach Afrika verschifft. Dorthin, wo es keinen TÜV gibt und auch ein Ölleck meist kein Hindernis darstellt. Eine auch unter Umweltschutzgesichtspunkten fragwürdige Praxis.
Wie genau eine solche Schrottauto-Reise aussehen kann, haben die Kollegen der „Neuen Zürcher Zeitung“ kürzlich mit einer aufwendigen Recherche nachvollziehen können. Sie verkauften für 100 Franken einen fast 30 Jahre alten Toyota an einen Kärtchen-Händler und statteten das Auto mit einem Airtag aus. Am Ende landete der Wagen in Jimeta, einer Stadt im Nordosten Nigerias – vor einem Küchengeschäft in einer vor Ort als verrufen geltenden Geldwechslerstraße. 3,5 Millionen Gebrauchtwagen verschwinden aus der Schweiz und der EU jedes Jahr, heißt es in dem Text. Viele würden exportiert, obwohl sie eigentlich als Abfall gelten und verschrottet werden müssten.
Ansgar Klein weiß um diese Probleme. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes freier Kfz-Händler wirbt aber für einen differenzierten Blick auf jene seiner Kollegen, die am liebsten an Windschutzscheiben werben. Die Kärtchen-Werbung hält er nicht für generell beanstandenswert und sieht dahinter „eine ziemliche Bandbreite von durchaus seriösen, bis allerdings auch weniger korrekten Aufkäufern“. Wer mit einer fachkundigen Person gemeinsam zum Kauf geht, entspannt bleibt und sich nicht unter Druck setzen lässt, könne einen solchen Händler ruhig anrufen.
Andreas Krämer würde meinen Fiesta hingegen niemals einem Kärtchen-Händler anbieten. Er lässt aber eine Ausnahme zu, wann ein Anruf dort ein gutes Geschäft sein kann. „Unter dem Gesichtspunkt: Mein TÜV ist abgelaufen, der Fiesta ist nicht neun, sondern 18 Jahre alt, fährt eigentlich nicht mehr, und ich bin froh, wenn er weg ist.“ Das eingenommene Bargeld würde er dann aber sicherheitshalber bei der Bank einzahlen und prüfen lassen.
Gerne hätte ich auch von meinem Händler in spe gehört, warum er meinen Fiesta kaufen möchte. Nach dem ergebnisarmen Telefonat habe ich an mehrere der zu ihm im Internet zu findenden Mail-Adressen einen Fragenkatalog geschickt. Ich wollte wissen, welche Firma hinter seinen Kärtchen steckt, wo er konkret überall aktiv ist, für welche Autos er sich interessiert, was er damit tut und wie zufrieden er mit seinem Geschäftsmodell ist. Alle diese Fragen blieben unbeantwortet.
Auch wenn mein Fiesta irgendwann volljährig sein sollte: Ihm werde ich ihn nicht verkaufen.