Einkaufsstraßen – Weniger Läden, mehr Leben
Wenn man die Friedrichstraße einmal von Anfang bis Ende durchläuft und dabei zählt, wie viele Läden leer stehen, kommt man auf ein Dutzend. Geht man vom Rhein bis zum Hauptbahnhof die Graf-Adolf-Straße entlang, erinnert man sich nachher an sehr viele Restaurants, ziemlich wenig Läden und an Museen, Theater, Kinos, Kunstwerke im öffentlichen Raum, die man gar nicht mit der Straße verbunden hätte.
Dort, am Rande des Düsseldorfer Zentrums, und in den Stadtteilen kann man sehen, wie das Internet den Handel verändert hat. Inhaber geben auf, neue Mieter kommen nicht, Hinweise auf die Telefonnummer des Maklers kleben dauerhaft am Schaufenster.
Über dieses Problem habe ich mit Immobilien- und Handelsexperten gesprochen und mögliche Lösungen diskutiert. Bevor es um die Ideen aus diesen Gesprächen geht, möchte ich zunächst beschreiben, was ich darüber gelernt habe, wie der Immobilienmarkt in diesem Zusammenhang funktioniert.
Lange Leerstände sind auf bittere Weise logisch
Auf den ersten Blick wirkt es seltsam: Ein Laden steht lange leer, die Eigentümer:innen des dazugehörigen Hauses senken dennoch die Miete nicht, um neue Unternehmen anzulocken. Sind die so gierig, dass sie lieber das Geschäft leer stehen lassen, als es günstiger zu vermieten? So einfach ist das leider nicht.
Wer eine Immobilie kauft, kalkuliert bestimmte Mieteinnahmen beziehungsweise eine Rendite. Dieser Betrag hängt wesentlich damit zusammen, zu welchen Konditionen man einen Kredit bei der Bank bekommt oder wie ein Fonds beziehungsweise Portfolio bewertet wird. Würde man in dieser ganzen Rechnung nun auf der Einnahmeseite die Miete deutlich senken, hat das gravierende Folgen: Die Voraussetzungen für den Kredit sind nicht mehr gegeben, die Bank stuft einen schlechter ein oder verweigert den nächsten Kredit, weil man nicht belastbar kalkuliert. Fonds oder Portfolio sinken in ihrem Wert, Anleger:innen verlieren gleichermaßen Geld wie Vertrauen.
Deshalb versuchen Eigentümer:innen von Handelsimmobilien so lange wie möglich, die ursprünglich angesetzte Miete zu bekommen, auch wenn der Markt sich komplett verändert hat. Sie geben Geld aus, um das Ladenlokal zu bewerben oder durch „Goodies“ (zum Beispiel Umbauzuschüsse oder mietfreie Zeiträume) an anderer Stelle für einen Mieter interessant zu machen. Bis die Eigentümer:innen zum letzten Mittel greifen und die Miete senken, vergeht viel Zeit.
Diese Erkenntnis sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man sich die folgenden Ideen anschaut:
Idee 1: Strafen für Leerstände
Düsseldorf hat seit 2019 eine Zweckentfremdungssatzung für Wohnungen. Damit will die Stadt Wohnraum schützen, also verhindern, dass die Preise durch ein noch geringeres Angebot weiter steigen. Zweckentfremdung liegt vor, wenn man eine Wohnung gewerblich nutzt, die Zimmer an Touristen vermietet (Airbnb) oder länger als sechs Monate leer stehen lässt. Für solche Zweckentfremdungen müssen Immobilieneigentümer bis zu 50.000 Euro Geldbuße zahlen.
Diesen Ansatz auf Handelsimmobilien zu übertragen, könnte man prüfen. Wer ein Geschäft länger als einen bestimmten Zeitraum nicht neu vermietet, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss zahlen. Eine solche Drohung könnte für mehr Dynamik bei den Vermietern sorgen.
Geht man davon aus, dass die Eigentümer:innen aus den vorhin beschriebenen Gründen nur die Miete senken, wenn nichts anderes mehr geht, muss man damit rechnen, dass sie Bußgelder wie Leerstände in Kauf nehmen. Bei ihnen wirkt die Strafandrohung also nicht, mögliche andere Investoren würden durch Strafen vermutlich verschreckt. Das könnte sich die Stadt im Gegensatz zum Wohnimmobilienmarkt nicht leisten.
Idee 2: Stadt übernimmt Teile der Miete
Die Landesregierung hat im Sommer 2020 ein Programm gestartet, um Stadtzentren zu helfen. Kommunen können Geld beantragen, um damit leerstehende Läden zu mieten und dort neuen Nutzer:innen den Start ihres Geschäfts zu erleichtern. Sie müssen nur einen kleinen Teil der Miete (20 Prozent) bezahlen. Die Idee dahinter: Die ersten neuen Mieter beleben den Standort und locken weitere Gründer und Geschäftsinhaber an.
Düsseldorf hat sich am Programm beteiligt und eine Fördersumme in Höhe von 250.000 Euro bekommen. Damit kann die Stadt an Graf-Adolf- und Friedrichstraße sowie in Eller und Gerresheim agieren. Die Gespräche mit Eigentümer:innen und möglichen Mieter:innen laufen, die Ergebnisse sollen bald verkündet werden.
Kritiker:innen dieses Ansatzes sagen, damit würden die Mieten auf ihrem nicht mehr zeitgemäßen Niveau bewahrt. Letztlich führe dies nur dazu, dass es noch länger dauere, bis ein Standort grundsätzlich verändert wird (siehe Idee 4).
Idee 3: Straßen bekommen neue Aufmerksamkeit
Markus Ambach und sein Team gehen einen künstlerischen Weg, um die Graf-Adolf-Straße zu beleben. Der einstige Boulevard ist heute vorwiegend eine Verkehrsachse und erscheint stark fragmentiert. Läden, Restaurants und Kultureinrichtungen erscheinen als lose Elemente, die nur über ihre Adresse verbunden sind.
Der Künstler und seine Mitstreiter:innen beschäftigen sich über mehrere Jahre mit einem Ort, um ihm gerecht zu werden. Sie schauen in die Hinterzimmer und -höfe, beobachten Nebenstraßen, Geschichte und Geheimtipps – zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten. Es geht um das Leben, nicht den gebauten Raum. Ambach spricht in diesem Zusammenhang von „kultureller Praxis“.
2024 soll es dann eine Ausstellung zur Graf-Adolf-Straße geben, die ihr neue Aufmerksamkeit beschert und neue Ideen liefert. Die Düsseldorfer:innen lernen, was es dort alles gibt, und die Anlieger:innen lernen, womit sie alles werben können beziehungsweise mit wem sie in der Nachbarschaft gemeinsame Sache machen können.
Der Ansatz ist ein besonderer, weil er sich viel Zeit nimmt und den Dingen die Gelegenheit gibt, sich zu entwickeln. Er schafft neue Perspektiven und ein neues Bewusstsein, damit kann sie Zersplitterung überwinden und dazu führen, den Ort wieder als eine Straße zu sehen. Aber Ambach macht auch deutlich: Der Niedergang hat Jahrzehnte gedauert, die Wende wird auch eine ganze Weile brauchen.
Idee 4: Straßen werden Schwerpunkt- oder Ausprobier-Meilen
Natürlich kann man hoffen, dass Amazon pleitegeht und die alte Welt der Einkaufsstraßen zurückkehrt. Betrachtet man das ganze aber realistisch, muss man registrieren, wie Handelsflächen schrumpfen und Einkaufsstraßen kürzer werden. Wo früher mehrere Stockwerke gebraucht wurden, reicht heute das Erdgeschoss, wo einst 100 Adressen nebeneinander waren, genügt jetzt die Hälfte. Aus dieser Erkenntnis kann man auch den radikalen Schritt ableiten und aufhören, eine Einkaufsstraße als Einkaufsstraße zu betrachten. Damit verliert man keine Zeit mehr mit verzweifelten und vergeblichen Rettungsversuchen, sondern beginnt direkt damit, neue Ideen zu entwickeln.
Man könnte aufhören, eine Einkaufsstraße über das Thema Einkaufen zu definieren und stattdessen in anderen Themen denken: Straßen als Sport-Meilen, als Kultur-Meilen, als Start-up-Meilen. Dann wird es eben passend zum Thema Geschäfte geben, aber auch andere Einrichtungen: also Sportgeschäft, Fahrradladen und Sporthalle, Buchgeschäft, Volkshochschule und ein kleines Theater oder verschiedene Läden von Gründern, E-Mobilitätsanbieter und Ableger einer Hochschule.
Man kann eine ehemalige Einkaufsstraße auch noch radikaler umgestalten. Und zwar sie rechtlich so freigeben, dass Bürger:innen sie für Eigeninitiativen und Experimente nutzen. Es entstünden Möglichkeiten, dort Essen aus einem Wagen anzubieten, ein Fest zu feiern, für ein paar Stunden etwas zu verkaufen. Und wer eine solche freie Fläche nutzt, zahlt keine Miete, sondern investiert einen Teil seiner Zeit für die Gemeinschaft. Also drei Stunden Geld verdienen bedeutet dann eineinhalb Stunden Müll einsammeln, etwas reparieren oder für die Straße bauen.
Idee 5: Business Improvement District
Standorte und ihre Gemeinschaften haben ein ganz normales, aber gravierendes Problem: Einige Beteiligte engagieren sich sehr, ein paar machen mit, und der Rest freut sich, von Fortschritten zu profitieren, ohne etwas dafür tun zu müssen. Die Idee eines Business Improvement Districts oder einer „gesetzlichen Immobilien- und Standortgemeinschaft“ löst dieses Problem.
Die Anlieger eines Standortes beschließen mit Mehrheit, einen solchen District oder eine solche Gemeinschaft zu gründen – in der Regel für fünf Jahre. Die Gemeinschaft kümmert sich dann um vieles, was dem Standort hilft. Sie stellt Mülleimer und Bänke auf, kümmert sich ums Saubermachen, ums Marketing, um Feste oder um Bauarbeiten. Und der gesetzliche Rahmen sorgt dafür, dass alle mitmachen, mindestens indem sie sich an den Kosten beteiligen. Raushalten, auch finanziell, kann sich keiner mehr, selbst wenn man vorher dagegen gestimmt hat, eine gesetzliche Gemeinschaft zu bilden.
Es gibt in Deutschland und in NRW eine ganze Reihe von Beispielen für solche Gemeinschaften und ihre Wirkung. An diesen Standorten geht es erkennbar voran, gerade weil das Konstrukt so verbindlich angelegt ist. Aber auch dort kennt der Fortschritt Grenzen. Das zeigt, wie tiefgreifend die Probleme und der Wandel der Einkaufsstraßen sind.
Quellen dieses Textes
Interviews mit Marcel Abel, geschäftsführender Direktor beim Immobilienunternehmen JLL, Thomas Görner, Geschäftsführer von „Foto Koch“ und Sprecher des „City-Ring Schadowstraße“, dem Künstler Markus Ambach, Benjamin Brüser, Mitbegründer von „Emmas Enkel“ und heute Inhaber von „Brüser Architektur & Innovation“.
Mehr zum Sofortprogramm der Landesregierung für Innenstädte ist hier zu finden.