Falsches Fleisch boomt: Düsseldorfer Firma LikeMeat mischt ganz vorn mit
Vielleicht war es die erste große Ungerechtigkeit meines Lebens. Als ich acht Jahre alt war, durfte ich keine Cola trinken. Meine Eltern meinten, das Koffein sei nicht gut für ein Kind. Stattdessen kauften sie mir die koffeinfreie Cola mit dem goldenen Etikett. Das war gut gemeint, und dennoch ein schlechter Ersatz. Alle tranken die richtige Cola, nur ich nicht. Wenn Freunde zu Besuch waren, erntete ich komische Blicke. Bevor man koffeinfreie Cola trank, ließ man es lieber ganz sein. Als ich ein paar Jahre älter war, merkte ich, dass es mit anderen Dingen ähnlich war: Auch wer im Restaurant nach fleischfreien Gerichten fragte, wurde komisch angeguckt.
Heute ist das zum Glück anders. Jeder kann essen und trinken, was sie oder er will. Das Geschäft mit veganen Lebensmitteln boomt mächtig, der Einzelhandel baut sein Sortiment weiter aus, fleischfrei zu essen ist angesagt. Das merke ich immer wieder, wenn ich im Supermarkt vor dem üppig gefüllten Regal mit den Fleischersatzprodukten stehe. Zwischen den vielen verschiedenen Marken liegen auch die bunten Packungen eines Unternehmens mit Sitz in Düsseldorf: LikeMeat.
Das Start-Up wurde 2013 von Timo Recker gegründet, der den Sitz von LikeMeat kurz danach nach Düsseldorf verlegte. 2020 wurde die Marke vom Schweizer Pflanzenfleischhersteller LiveKindly gekauft. Ein attraktives Investment. LikeMeat hat inzwischen 150 Mitarbeiter*innen und ist – gleich hinter der Rügenwalder Mühle – die Nummer zwei auf dem Markt der Fleischalternativen. Im Jahr 2020 betrug der Umsatz laut „Handelsblatt“ mehr als 20 Millionen Euro. Im Jahr 2021 war die Nachfrage so hoch, dass man zeitweise mit der Produktion nicht hinterherkam, der Umsatz stieg um 26 Prozent. Sogar das Krisenjahr 2022 wurde mit einem zweistelligen Prozentwachstum abgeschlossen.
Was hat LikeMeat zu bieten? Wer will, der kann Bacon, Hähnchen, Döner, Gyros, Hack, Würstchen und Frikadellen essen – und das, ohne Fleisch zu verzehren. Die aus Soja- und Erbsenprotein bestehenden Produkte werden in der holländischen Stadt Oss hergestellt. Wie imitiert man Fleischgeschmack ohne tierischen Ursprung? Anja Grunefeld, General Managerin von Livekindly hat die Antwort: LikeMeat hat ein eigenes Verfahren zur Herstellung der fleischähnlichen, faserigen und saftigen Textur der Gerichte entwickelt. Für den Geschmack arbeitet man mit traditionellen Gewürzen für Fleischprodukte und natürlichen Aromen.
Im Düsseldorfer Büro im schicken, gläsernen Sign-Tower im Medienhafen sitzen auf 660 Quadratmeter Vertrieb, Buchhaltung, Controlling, Kundendienst und Marketing. Bei der Werbung ist LikeMeat sozusagen das Füchsen-Alt unter den Fleischersatz-Marken. Wenn ich die Internetseite öffne, sehe ich glückliche Menschen, die genüsslich in täuschend echte Fleisch-Attrappen beißen. Dazu Slogans wie: Verzichte nicht auf Fleisch, iss einfach LikeMeat“ und “Gut für den Heißhunger und die Tiere.“ Anfang 2022 ließ LikeMeat Rammstein-Sänger Till Lindemann in einem Werbespot in die Rolle von Kunstikone Andy Warhol schlüpfen und einen veganen Burger verputzen. Die Botschaft: Coolness und Männlichkeit gehen heute auch ohne echtes Fleisch.
„Schmeckt keine Sau, dass da kein Fleisch drin ist“, behauptet LikeMeat. Ein gewagtes Versprechen, das ich gern prüfen will. Vor ein paar Wochen schnappe ich mir im Supermarkt also so viele Packungen (100%-recycelte Schale!), wie ich tragen kann. Und dann starten wir den Test: Wir beginnen mit dem Schnitzel. Hier sind meine Frau und ich uns einig. Das schmeckt – so wie es soll – nach Schnitzel. Richtig gut sogar, besser als andere vegane Schnitzel, die wir schon gegessen haben. Drei von vier Leuten würden, da sind wir sicher, wenn sie es nicht wüssten, vermutlich gar nicht bemerken, dass sie fleischfrei essen. Das liegt vermutlich auch an der Panade, die optisch und geschmacklich beim Kaschieren hilft. Weiter geht’s mit Grilled chicken. Die Hähnchenbruststreifen aus Soja sehen ihren fleischigen Vorbildern täuschend ähnlich. Optik und Konsistenz sind sehr gelungen, sie schmecken zart und durchaus lecker, finde ich. Meine Frau meint jedoch, der Geschmack sei etwas künstlich.
Am nächsten Tag gibt es Gyros. Die Stücke sind ebenfalls sehr weich – was nicht gerade eine typische Eigenschaft von Gyros ist. Auch optisch ist die Ähnlichkeit nicht groß. Das „falsche“ Gyros ist fast orange und sieht damit eher aus wie Süßkartoffelstreifen. Meine Frau meint, es schmeckt nach Gyros, ich nicht. Zuletzt testen wir das Hack, mittags in der Pasta, abends in einer Bowl. Optisch sieht das gut aus, die Hack-Stückchen sind etwas größer als echte. Zum Geschmack: Das LikeMeat-Hack ist recht unauffällig, manchmal vergisst man fast, dass es da ist. Die vegane Variante der Rügenwalder Mühle überzeugt uns mehr. An echtes Hackfleisch kommt, zumindest für mich, aber auch das nicht heran. Fazit: Die Produkte sind lecker, die große Auswahl bietet vielseitige Einsatzmöglichkeiten. Optik und Konsistenz überzeugen uns mehr als der Geschmack. Der Preis – drei Euro für 180 Gramm – ist in Ordnung. Es genügt für zwei Portionen, eine vergleichsweise Menge Fleisch ist teurer.
Wie bei vielen anderen Lebensmitteln sind auch die Preise für Fleisch zuletzt zum Teil erheblich gestiegen. Deshalb greifen viele Menschen zu günstigeren Produkten. Marken wie LikeMeat profitieren davon. Das zeigen auch Auswertungen des Online-Supermarktes Picnic. Demnach verzeichneten Fleischalternativen 2022 bei den 37.000 Düsseldorfer Kunden ein Plus von 17 Prozent zum Vorjahr, bei Fleisch gab es einen Rückgang von 3,9 Prozent. In umliegenden Städten wie Hilden fiel das Minus sogar noch deutlich höher aus.
Über eines müssen wir aber noch sprechen: Fleischessern hilft ein Soja-Schnitzel womöglich dabei, den Fleischkonsum zu reduzieren. Aber viele Menschen haben überhaupt kein Bedürfnis nach dem Geschmack von Fleisch, auch nicht nach künstlich erzeugtem. Beiden Gruppen kann man es nicht recht machen. Ein Zwiespalt? Anja Grunefeld findet nicht. Klare Zielgruppe von LikeMeat seien Flexitarier. Das sind Menschen, die bewusst nur gelegentlich oder selten Fleisch essen. Ihr Anteil nimmt seit Jahren zu – laut Veganz-Ernährungsstudie sind es in Deutschland 31 Prozent – während der Fleischkonsum sinkt. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung lag der Pro-Kopf-Verzehr 2021 bei 55 Kilogramm – der niedrigste Wert seit Beginn der Berechnung 1989.
Knapp 25 Jahre später müssen sich nicht mehr Vegetarier rechtfertigen, sondern eher diejenigen, die dreimal täglich Fleisch verdrücken. Der Zeitgeist verhilft Themen wie Klimaschutz und Tierhaltung zu viel Aufmerksamkeit. Die Fleischersatz-Branche drängt in eine lukrative Nische, die gefüllt werden will. Auf der Internetseite von LikeMeat stoße ich auf den Satz: „Würden nicht mehr Menschen die Welt retten, wenn die Rettung der Welt besser schmecken würde?“ Produkte, die an unsere Moral appellieren. Die nach Fleisch schmecken, ohne dass dafür Tiere sterben müssen. Hier ist die Fälschung dem Original überlegen. Der Geschmack ist dabei zwar wichtig, aber nicht erstrangig. Und wenn die Fleisch-Attrappe geschmacklich vielleicht nicht zu 100 Prozent mithalten kann, so wird die Lücke gewissermaßen vom Gewissen gefüllt. Essen und damit Gutes tun. Dann fühlt sich der Kurzstreckenflug von Düsseldorf nach Frankfurt nicht mehr ganz so schlecht an.
Ich höre mich bei VierNull-Lesern um und stoße auf interessante Sichtweisen, zum Beispiel von Mike Neubauer. Er, seit fünf Jahren Veganer und seit 40 Vegetarier, würde nicht zum falschen Schnitzel greifen, weil es wie echtes Fleisch schmecke. Dennoch sei es klasse, dass es die Produkte gebe, weil dadurch weniger Tiere leiden müssten. Auch Saskia Wolff findet Fleischersatz toll. Sie isst zwar gern Fleisch, aber nicht so gern Tiere. Für sie sei das – „faul wie ich bin“ – der einfachste Beitrag zum Klimaschutz. Auch Jonathan Lang hält pflanzlich hergestelltes Fleisch für einen wunderbaren Ansatz. Echtes Fleisch schmecke ihm zwar gut, große Menge könne er jedoch nicht mit seinem ökologischen Gewissen vereinbaren. Zumal der Großteil des angebotenen Fleisches von niedriger Qualität sei.
Aber wer genau hinguckt, der entdeckt auch bei Fleischersatz-Produkten Angriffsfläche. Wie andere Hersteller geriet auch LikeMeat vor Jahren negativ in die Schlagzeilen. Zwei Produkte enthielten zu viel Mineralöl und Glutamat beziehungsweise ein Pestizid, und wurden überarbeitet. Was macht LikeMeat, damit so etwas nicht mehr passiert? Laut Anja Grunefeld gibt es verschiedene Kontrollpunkte während der Produktion, Glutamat und Palmöl würden nicht mehr genutzt. Auch beim Thema Transportwege ist Luft nach oben. Bisher bezog man das Soja hauptsächlich aus China, ab März 2023 soll auf Rohstoffe aus Europa umgestellt werden.
Auf dem 2. Platz gemütlich machen, kann und will man es sich bei LikeMeat nicht. Der Wettbewerbsdruck ist groß, die Regalplätze umkämpft. Noch kaufen viele Menschen die Produkte aus Neugier, um sie mal auszuprobieren. Für LikeMeat ist es wichtig, dass die Kunden sie fest in Alltag und Wocheneinkauf integrieren. Dabei sollen auch neue Produkte helfen. In diesem Jahr soll ein neuer Chicken-Burger den deutschen Markt erobern. Im Januar 2023 wird in Bordrestaurants der Deutschen Bahn – neben anderen veganen Gerichten – auch ein „Chili Sin Carne“ mit LikeMeat-Hack angeboten. Sind Partnerschaften mit Restaurants oder eigene Gastronomie der nächste Schritt? „Auf jeden Fall, wir sehen hier viel Potenzial“, sagt Grunefeld. Aber mehr will sie mir noch nicht verraten.
Der Autor führt heute auch ohne Cola ein weitgehend zufriedenes Leben und isst gern und regelmäßig Fleisch – echtes und falsches, wie auch dieses Foto zeigt: