Heiner Kamps lebt nicht fürs Brot allein

Wer seinen Namen hört denkt sofort: der Bäcker. Tatsächlich ist er Meister dieses Handwerks und hat daraus einen Konzern geschaffen. Heute backt er immer noch. Aber nicht selbst, und vor allem für McDonald’s.
Veröffentlicht am 3. Januar 2022
Heiner Kamps
Heiner Kamps hinter der Verkaufstheke des Bastians am Carlsplatz. Wenige Tage nach dem Foto wurde das Café geschlossen. Es war das letzte Geschäft, das der Bäckermeister in Düsseldorf betrieben hat. Foto: Andreas Endermann

Er kommt direkt vom Flughafen, vom Termin in London. Daher ist er ein paar Minuten zu spät zum Treffen in der Altstadt. In seinem Bastians am Carlsplatz, wenige Tage, bevor er es endgültig schließt. Für die Verspätung entschuldigt er sich, für das Schließen nicht – dafür hat Heiner Kamps gute Gründe, wie er meint. Dass er an diesem Tag Großvater geworden ist, hat er natürlich längst erfahren. Zum dritten Mal, sagt er. Tochter Judith, die in den USA lebt, hat schon zwei Kinder. Nun sind auch Sohn Sebastian und Frau Gülcan (Kamps) Eltern geworden. Junge oder Mädchen? Das sagt er nicht, die Eltern sollen das selbst verkünden. Der Mann hat, wie sich im Gespräch mehrfach bestätigt, einige Prinzipien.

66 Jahre ist er alt. Und ist, wie man so sagt, in good shape, Gewichtsprobleme scheint er nicht zu haben. Die Haare angegraut, im gutsitzenden Jackett, das weiße Hemd ohne Krawatte am Kragen offen.

Bastians ist sozusagen seine letzte Filiale in Düsseldorf, nach der Schließung ist Kamps Wirtschaftsgeschichte in der NRW-Landeshauptstadt. Die Belegschaft wurde darüber Wochen vorher informiert und ist an diesem fast letzten Tag in einem Zustand zwischen traurig und schockiert, hat mir der Kellner erzählt, bevor der Chef kam.

Kamps bestellt Kaffee mit Wasser. Später wird er das und meinen Cappuccino plus ein Stück Apfelkuchen mit einem Zwanziger bezahlen, rundet mit knapp zwei Euro Trinkgeld auf. Der Mann vom Service kennt ihn, man duzt sich. Wer von der Crew will, ist übernommen worden und kann künftig in der verbleibenden Filiale in Köln arbeiten. Kamps weiß, wer demnächst in den Räumen sein wird. Aber er verrät es nicht – das hat er der Vermieterin zugesagt, daran hält er sich. Ein Gerücht, künftig stünden ausschließlich Veggie-Burger auf der Karte, kommentiert er nicht.

Vor ein paar Wochen habe ich hier über die Schließung des Bastians berichtet, und dass der Chef in der Branche bleibt. Allerdings auf einem ganz anderen Level.

Denn der Schweizer Konzern Aryzta, in dem Kamps heute mit 16 Prozent Aktienanteil das Sagen hat, ist nicht wirklich eine Großbäckerei, sondern eine Art Food-Industrie der modernsten Sorte. Man backt zwar kleine Brötchen, aber davon eine ganze Menge. Einer der wichtigsten Kunden: McDonald’s. Für die Burger-Brater bereitet man die oberen und unteren Hälften für Big Mac & Co vor und ist größter Lieferant in Deutschland. Außerdem werden Lidl und Subway beliefert. Rund 300.000 Tonnen Backwaren kommen pro Jahr allein aus der Fertigung in Eisleben in Sachsen. Dafür werden dort weit über 100.000 Tonnen Mehl gebraucht. Kamps mag es, in Bildern zu denken. „Stellen Sie sich diese Menge doch mal in Lkw vor.“

Das tue ich, und komme bei meiner Kalkulation mit 30-Tonnen-Lastern auf eine beeindruckende Schlange sehr großer Lastwagen. Und, wo wir gerade bei Zahlen sind, erzählt er noch, wie viele Berliner Ballen (andernorts heißen sie Krapfen) in dieser Fabrik vom Band laufen. 80.000 sind es, pro Stunde, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, zwischen November und März  – Saison für dieses Gebäck, das ja in Wahrheit nicht gebacken, sondern im heißen Fett gegart wird.

„Herr Kamps, Sie rauben mir gerade eine Illusion. Ich dachte immer, der kommt vom Bäcker aus dessen Backstube, wo am Schluss einer dasteht mit einer großen Spritze und die Marmelade in den Berliner spritzt. Bevor der in weißem Puderzucker gewälzt wird.“

Deutschlands berühmtester Bäcker grinst mich spöttisch an. Und macht weiter mit der Zerstörung von Illusionen. Salzbrezeln, Croissants, Brötchen – bei den größeren Bäckereien werde das alles längst industriell vorgefertigt. Weil den einzelnen Betrieben nichts anderes übrigbleibe, um Zeit für die jeweiligen Spezialitäten zu haben, die man jeweils anbiete. Mit anderen Worten: Das Brot-und-Butter-Geschäft läuft über das, was man Neudeutsch Convenience nennt, der Rest von Hand und traditionell. Weil er die Skepsis in meinem Gesicht sieht, spricht er von der Qualität. Die Zeiten seien seit langem vorbei, in denen die vorgefertigten Produkte qualitativ zweite Liga waren. Personalmangel werde diesen Trend noch befeuern, was ihm und seiner Firma sehr entgegen kommt. Der Mann wirkt überzeugt und daher auch überzeugend, wenn er sagt, dass man heute in der Fließbandware einen Standard erreiche, den viele kleine Betriebe nicht garantieren könnten: „Probieren Sie mal die Tiefkühltorten von Coppenrath & Wiese, und dann suchen Sie einen Konditor, der das so hinkriegt.“

Insgeheim beschließe ich, demnächst diesbezüglich ein Testprogramm zu starten. Und frage das, was man als Journalist immer fragt – nämlich den Hauptproduzenten von McDonald’s-Brötchen nach seinem letzten McDonald’s-Besuch. Der war neulich, sagt er. Und der nächste werde bald sein. Schon wegen seiner beiden jüngsten Kinder. Die sind Anfang Dezember acht geworden, und mit denen muss der Papa regelmäßig zu Mäckes. Und? Kein Problem, sagt er, 1a-Qualität. Und man isst das ja nicht jeden Tag.

Glaub ich ihm aufs Wort, die Optik spricht Bände.

Auch ohne Buddha-Optik – der Mann ruht in sich. Jedenfalls gelingt es ihm leicht, diesen Eindruck zu vermitteln. Gelassen blickt er aufs Geschaffte, ruhig auf das, was vor ihm liegt. Eigner von Nordsee und Homann war er mal, dann in einer Kooperation mit dem anerkannt schwierigen Chef von Müller-Milch. Nun ist er der Drahtzieher bei Aryzta in Zürich – es läuft, wie er es sich vorstellt. Die Zahlen seien gut. Vor dem Einstieg habe er sich die Firma sehr intensiv angeschaut und die gute Substanz erkannt. Aufgrund von Managementfehlern habe es Probleme gegeben, aber die habe man, auch durch Auswechslung des Vorstands, inzwischen im Griff. Vom amerikanischen Markt habe man sich verabschiedet, jetzt liege der Fokus auf Europa und Asien. Das sei erfolgversprechend, wie die jüngsten Daten zeigten. Der Aktienkurs steige langsam, aber stetig. Vorstand neu, US-Engagement beendet – bei ihm klingt das wie Krümelwegwischen.

Auch wenn das Bastians am Carlsplatz nun Geschichte ist, Düsseldorf bleibt er verbunden, auch wenn seine Frau – sie stammt aus Süddeutschland – das nicht versteht. Die Stadt liegt ihm am Herzen, daher empören ihn Schmutz auf den Straßen und schlechte Organisation am Flughafen. Das kenne er von keinem anderen Airport der Welt. Dennoch: Hier, wo alles angefangen hat, hier behält er seine Wohnung. Deren Adresse (die ich hier natürlich nicht nenne) verrät, in welcher Liga der berühmteste Bäcker Deutschlands inzwischen spielt. Statussymbole braucht er vermutlich nicht, nutzt sie aber. Wie seinen Privatjet, eine zweistrahlige Cessna Citation. Bei seinen dauernden Reisen zwischen Zürich (Firmensitz), Kitzbühel (dort lebt die Familie), Mallorca (Ferien-Finca), USA (dort wohnt die Tochter), Düsseldorf (Heimathafen) und Geschäftspartnern quer über Europa verteilt wäre das Fliegen im normalen Linienverkehr reine Zeitverschwendung, also teuer. Ergo: Privatjet. Am Tag des Gesprächs ist er allerdings Linie geflogen – weil es praktischer war. Wird er nicht genutzt, steht der Flieger nicht rum, sondern wird verchartert, verdient also Geld.

Bleiben wir bei Statussymbolen. Am Handgelenk trägt Kamps eine Rolex, Modell Daytona. Heutzutage im Preis, je nach Metall, hoch fünfstellig. Seine ist allerdings zig Jahre alt, und war damals, verglichen mit heute, ein echtes Schnäppchen. Und das Lederarmband auf der anderen Seite? Ein Geschenk seiner Frau, sagt er, leicht verlegen grinsend.

Auf die muss er immer dann verzichten, wenn er die Konzerte seiner Lieblingsband besucht: Rammstein. Rammstein? Immer in der ersten Reihe, erzählt er. Oder Metallica – die andere große Musikleidenschaft.

Ein schönes Bild im Kopfkino zum Abschluss: Der leise sprechende Heiner Kamps, einer der ganz Großen in Europas Lebensmittelindustrie, zurückhaltend und dezent – in der ersten Reihe eines Heavy-Metal-Konzerts. Angereist mit seinem eigenen Flugzeug.

Womit klar wäre: Der Mann lebt nicht fürs Brot allein.


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