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Kein Druck, der Boss sein zu müssen

Die zweite Folge unserer Reihe "Führende Frauen": Britta Kutz leitet seit 2016 das Hotel Interconti an der Kö. Die Anforderungen ihres Jobs vergleicht sie mit denen in einer Familie.
Veröffentlicht am 4. Juni 2021
Britta Kutz in der Lobby des Hotels Interconti an der Königsallee. Foto: Andreas Endermann
Hotel-Chefin Britta Kutz in der Lobby des Interconti an der Kö in Düsseldorf. Foto: Andreas Endermann

Kurios, die Situation: Die riesige Empfangshalle des Interconti an der Kö, ein mehrere Etagen hoher Lichthof im Inneren des Hotels. Normalerweise sitzen dort auf Sesseln und Sofas Dutzende Menschen. Die Arbeitspulte mit den Internetanschlüssen sind besetzt, Gäste kommen und gehen, checken ein, checken aus. Das pralle Leben halt. 

Aber nun ist alles leer, vereinsamt und es kann sein, dass Hotelchefin Britta Kutz sich ein wenig verloren fühlt in diesem gigantischen Raum, in dem eine so gespenstische Stille herrscht. Außer ihr und mir ist niemand da, und deutlicher kann es sich nicht zeigen, dass nichts normal ist in diesen Zeiten. Auch nicht, Chefin eines nahezu leeren Fünf-Sterne-plus-Hotels zu sein. Kutz beschreibt die Lage derzeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wenn dieser Spruch jemals passte, dann jetzt: Einerseits habe man nun mit 20 Gästen und derzeit 20 Mitarbeitern die perfekte (und sonst niemals erreichbare) 1:1-Betreuung. Andererseits sehne man den Tag X herbei, an dem alles wieder so läuft wie vorher, wie über Jahre praktiziert, und wie von ihr in einem weltweiten Karriereweg erlernt.

Ihre Ausbildung begann im Hyatt Regency in Köln. Von dort ging es nach London, Hamburg, Frankfurt, schließlich Singapur, Thailand und nach Düsseldorf. Bereits in Asien war klar, wie die Karriere verlaufen soll – eine Führungsposition sollte es sein. Ihr damaliger Arbeitgeber, eine internationale Hotelkette, nahm sie in ein Förderprogramm für künftige Führungskräfte. Diese Frauen und Männer werden mit Hilfe von Mentoren akribisch vorbereitet, bei denen sie abgucken können, was künftig ihr Job ist in der Chefetage. 

Dort ist Kutz 2016 angekommen – an der Kö im Interconti. Einem der Top-Häuser Düsseldorfs, mit 287 Zimmern und 170 Mitarbeitern. Das in den frühen 2000er Jahren gebaute Hotel hatte seit der Eröffnung 2005 mehrere Chefs, Kutz ist die erste Frau. 

In einer Branche, in der bis vor wenigen Jahren weibliche Geschäftsführer selten waren, beobachtet sie seit einiger Zeit einen Wandel. Offenbar habe man eingesehen, wie gut weibliche Stärken mit den Aufgaben der Nr. 1 in einer Fünf-Sterne-Herberge zusammenpassen. Sie vergleicht ihre Aufgabe mit der einer Mutter in einer großen Familie: Mit Empathie und Emotion ein Team leiten, dabei aber klare Regeln setzen, auf deren Einhaltung achten, aber auch die höchst unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Mitarbeiter erkennen und sie entsprechend einsetzen. 

Anders als bei Männern sieht sie bei Frauen in Führungspositionen nicht den Drang oder vermeintlichen Druck, Boss sein zu müssen. Frauen seien weniger bestrebt, vorne zu stehen, sondern mehr teamorientiert. Kutz‘ Erfolgserlebnis ist, wenn die Crew – fifty-fifty weiblich männlich besetzt – einen guten Job macht, also erfolgreich ist. Gruppen passend zur Aufgabe und zum Ziel optimal zusammenzustellen, falle Frauen leichter als Männern, außerdem hätten sie oft den besseren Instinkt, Menschen zu entwickeln, also ihre Stärken zu fördern und die Schwächen auszugleichen.

Kutz‘ Bild dafür ist das einer Karotte, die man, verlockend duftend und leuchtend, Mitarbeitern vor die Nase hält, um sie dahin zu locken, wo sie gern und gut arbeiten. Und natürlich am Ende die Karotte bekommen.

Dabei hilft ihr, dass es im Hotel keine Arbeit gibt, die sie nicht selbst in den Jahren der Aus- und Weiterbildung erledigt hat. Zimmer-Service, Reinigung, Rezeption – die Chefin weiß, wie es geht, was geht und was nicht.

Am Ende verlässt sie sich auf ihre Mitarbeiter und vertraut auf deren Kompetenz. Nur in seltenen Fällen entscheidet sie gegen den Rat ihrer Leute. Ihr Beispiel dafür: Den Blumenschmuck auf den Restaurant-Tischen entscheidet die dortige Mannschaft. Kommt aber ein sehr wichtiger Gast, von dem sie weiß, dass er eine bestimmte Blume nicht mag (gute Hotel-Leute wissen sowas!), dann greift sie ein, wenn ausgerechnet diese Pflanze auf den Tischen steht. 

Wie sehr sie den Service-Gedanken verinnerlicht hat, wird bei einer Kleinigkeit während des Gesprächs deutlich: die Untertasse des servierten Kaffees ist nicht tadellos weiß, weil ein paar Tröpfchen übergeschwappt sind. Mir ist das egal, aber die Bedienung besteht darauf, ein neues Gedeck zu holen.

Also die Frage an die Chefin: Sie haben das beobachtet, oder?
Kutz nickt.
Wäre es ok gewesen, die nicht perfekte Untertasse stehen zu lassen, nachdem ich erklärt habe, es sei mir egal? 
Kutz: Ja, aber dann hätte die Bedienung eine Serviette anbieten müssen. 

Beim Gang ins Restaurant hält sie – die Frau – mir – einem Mann – die Tür auf. Macht sie das auch außerhalb des Hotels? Ja, sie mag das, freut sich über die meist gezeigte Dankbarkeit. Außerdem versteht sie unter Emanzipation auch das Recht, sich als Frau so zu verhalten, wie es eigentlich von Männern erwartet wird. Was nichts daran ändert, wie sehr sie es schätzt, wenn ihr in den Mantel geholfen oder die Tür zum Auto aufgehalten wird.

Zurzeit prägt Corona ihre Arbeit. Täglich ist sie im Hotel, obwohl vieles von daheim zu machen möglich wäre. Aber sie, nun doch der Boss, will Vorbild sein, sich zeigen. Also hält sie das Haus in einem Standby-Modus, kümmert sich um die wenigen Gäste. Das sind übrigens ausschließlich Geschäftsleute, alles läuft sehr ruhig ab.  

Apropos Ruhe: Manchmal hat Tochter Jana (11) ihre Mutter begleitet, saß am Schreibtisch im Vorzimmer beim Home-Schooling. Das Mädchen, an Hotels gewöhnt seitdem es denken kann, liebt die Atmosphäre solcher Häuser, ist stolz auf die Mutter und der Berufswunsch steht fest – in Mamas Fußstapfen treten. 

Nun taucht an der Rezeption noch jemand auf, eine junge Frau. Sie strahlt – endlich mal wieder Leute vor dem Tresen. Der Rest der Notbesatzung arbeitet im Verborgenen. Täglich dreht man in allen Zimmern die Wasserleitungen auf, um Keimbildung zu verhindern. Außerdem wird überall regelmäßig der Staub beseitigt. Einen Teil der Räume hat man in eine Art künstliches Koma versetzt – selbst der Strom ist dort deaktiviert. Aber alles ist vorbereitet, um binnen kürzester Zeit den gesamten Betrieb wieder hochzufahren, inklusive des Restaurants. Noch liegt Stille über dem Haus, das in anderen Zeiten voller Leben und Stimmengewirr ist.  

Weil nichts los ist, darf auch der Familienhund manchmal mit. Ein zweijähriger Rhodesian Ridgeback. Üblicherweise tragen diese Hunde aus Afrika gern Namen aus afrikanischen Sprachen, Suaheli ist beliebt. Beim Kutz’schen Hund ist das anders – er ist Rheinländer, hat man beschlossen. 

Also heißt er Jupp.

Die erste Folge der Serie „Führende Frauen“ können Sie hier lesen.


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