In der Altstadt stehen 500 Wohnungen leer
Merkwürdigerweise spricht keiner davon: Leerstand von Wohnungen. In Berlin sollen es 13 Prozent sein, in Düsseldorf zehn. Bei insgesamt rund 360.000 Einheiten wären das ungefähr 36.000. Das sagen Experten, die sich mit den Details zur Stadtentwicklung beschäftigen und derzeit vor allem eine Frage zu beantworten versuchen: Wie kann man mehr Menschen eine bezahlbare Bleibe verschaffen?
Es gibt immer wieder spektakuläre Beispiele von Städten, die das vermeintlich im Griff haben. Österreichs Hauptstadt Wien betreibt seit den 1920er Jahren ein öffentlich gefördertes Baumodell, das selbst in den Top-Bezirken Wohnen nicht zum Luxus werden lässt. Die Stadt hat immer wieder Grund gekauft und 220.000 kommunale Wohnungen errichtet. Sie alle sind bis heute im Besitz der öffentlichen Hand und garantieren günstige Mieten.
In Düsseldorf ist die Lage völlig anders. Gebaut wird zwar, aber meist privat und im Bereich von Mieten jenseits der 20 Euro. Oder es entstehen Eigentumswohnungen für Preise von einer Million Euro aufwärts. Für die massenhafte Nachfrage also ungeeignet. Hinzu kommt im Augenblick der Kostendruck in der Bauindustrie. Ein Fachmann erklärte mir vor ein paar Tagen, im Augenblick sei es in Ballungsräumen wie Düsseldorf unmöglich, Wohnungen zu erstellen, die am Ende weniger als 17 Euro Kaltmiete kosten.
Umso erstaunlicher ist, wie viele Quadratmeter in Düsseldorf quer über die Stadt verteilt leer stehen. Eklatant und – bei aufmerksamem Hinschauen – leicht zu entdecken, ist das in der Altstadt. Wer den Blick nach oben richtet, über die Zugänge zu Clubs und Kneipen, der wird schnell feststellen, wie leer oder verwahrlost dort die Fenster zur Straße aussehen. Dass da keiner wohnt, ist offensichtlich.
Kenner der Szene schätzen, dass zwischen Heine-Allee, Kunstakademie und Carlsplatz rund 500 Einheiten frei sind. Und das liegt keineswegs an der mangelnden Nachfrage. Sondern an der Mieterstruktur im Viertel. Denn im jeweiligen Erdgeschoss sitzt fast immer ein Geschäft oder eine Gastronomie. Beide zahlen – aus Sicht des Eigentümers – gute Mieten. Würde man nun aber beispielsweise die Zugänge zu den oberen Etagen für private Nutzer herrichten, entfiele unten wertvolle Fläche. Also wird im Erdgeschoss jeder Quadratmeter für den Gewerbetreibenden genutzt. Damit kann es sein, dass es keine normalen Zugänge nach oben mehr gibt. Was bisweilen dazu führt, dass in den oberen Stockwerken alles verkommt. Dem Vermieter kann das egal sein, weil er durch den Mieter unten genug verdient. Es gibt in der Altstadt Häuser, in denen oben zehn und mehr Wohnungen leer stehen. Und das sind keineswegs Ausnahmen.
Dass es durchaus Interesse gibt, im sehr lebhaften, also lauten Viertel zu wohnen, zeigte sich vor wenigen Wochen an folgendem Beispiel: An der Bolkerstraße wurde eine Wohnung angeboten, und es meldeten sich mehrere hundert Interessenten.
Ein weiteres Argument gegen privates Leben über Clubs oder Geschäften: Die Vermieter fürchten, dass der Lärm der Disco unten oder die Geruchsbelästigung eines Imbiss den Bewohnern das Leben vermiest. Die könnten ihre – juristisch gerechtfertigten Interessen – durchaus geltend machen, was dem Eigentümer dann Probleme mit dem einträglichen Mieter im Erdgeschoss beschert.
Die Rechtslage in dieser Situation ist kompliziert. Das Nicht-Vermieten von Wohnungen ist eine Zweckentfremdung, gegen die die Stadt vorgehen könnte, um zusätzliche Wohnungen zu schaffen. Es wäre sogar leicht möglich festzustellen, ob der Raum bewohnt wird oder nicht: über die Zähler von Wasser, Strom und Gas. Die Stadtwerke haben die Daten, aus denen man ersehen kann, wie die verschiedenen Bereiche eines Objekts genutzt werden. Sind sie leer, ist das Indiz eindeutig: Dort dreht sich kein Zähler.
Im Mai vorigen Jahres hat sich die Stadt eine Satzung zum Schutz und Erhalt von Wohnraum gegeben. Darin ist klar geregelt, wann Zweckentfremdung vorliegt. In Paragraph 6, Absatz 1 steht dieser Satz: „Wohnraum im Sinne dieser Satzung umfasst alle Räume, die zu Wohnzwecken objektiv geeignet und subjektiv bestimmt sind.“ Und etwas weiter unten unter „Leerstand“ heißt es: „Wird Wohnraum ab Beginn des Leerstehenlassens nicht innerhalb von sechs Monaten zu Wohnzwecken genutzt, so haben die Verfügungsberechtigten dies der Gemeinde unverzüglich anzuzeigen.“ (Paragraph 10, Absatz 1)
Fraglich ist, ob die Stadt das Problem – das übrigens nicht nur die Altstadt, sondern auch andere Areale betrifft – angeht. Das Recht am Eigentum ist in der deutschen Gesetzgebung sehr stark geschützt. Und vor allem in der Altstadt ist die Eigentümer-Struktur der Immobilien auf einige wenige, stadtbekannte Familien beschränkt. Ob man sich mit denen anlegen will?
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