Niemals allein – der Traum vom Leben in der Riesen-WG

Tim Thiede hat jahrelang an der Augustastraße mit bis zu 31 weiteren Menschen zusammengelebt. Heute hofft er auf neue WG-Projekte. Ein Zukunftsmodell für Düsseldorf?
Von Marc Latsch (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 15. April 2025
Riesen-WG an der Augustastraße 30 in Düsseldorf
Boran Kirchner und Lisa Felix waren zwei der 32 Bewohnerinnen und Bewohner der WG an der Augustastraße.

Tim Thiede erinnert sich noch genau an sein erstes Mal in der 32er-WG an der Augustastraße. Er war zum Casting eingeladen und froh, dass er sich zur moralischen Unterstützung einen Freund mitgebracht hatte. Bei Frühstück und ein paar Flaschen Sekt wollten ihn seine potenziellen Mitbewohner:innen kennenlernen. Das Reden übernahm dann größtenteils der Freund für ihn. „Mir hat es irgendwann die Sprache verschlagen. Ich war einfach überfordert.“ Geschadet hat ihm das Schweigen nicht. Thiede durfte einziehen und hat es nie bereut. „Ich hatte einfach Bock, das zu erleben.“

Jeder von uns kennt die Erfahrung, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Ob in der eigenen Familie, der Studierenden-WG oder mit Freund:innen und Partner:innen. Das ist schon in Kleingruppen häufig fordernd und geht nicht ohne Kompromisse. An der Augustastraße lagen an einem über 100 Meter langen Flur mehr als 30 WG-Zimmer, Bäder, TV- und Hauswirtschaftsräume. Diese Berufstätigen-WG wurde bis zu ihrer Schließung 2023 von einer Düsseldorfer Gesellschaft betrieben und war nicht mal die größte Variante. Bis heute gibt es an der Gneisenaustraße eine weitere WG, die sogar Platz für bis zu 60 Bewohner:innen hat. Einzige Voraussetzung: Alle müssen mitten im Arbeitsleben stehen, Studierende sind nicht erwünscht.

Wie es dort im Alltag zugeht, hat das ZDF für eine Dokumentation beobachtet. An der Gneisenaustraße traf das Fernsehteam damals auf junge High-Performer, die zwischen Koffern und Außenterminen in der WG einen Schlafplatz gefunden hatten. Ein Publikum, das gerne 600 Euro Miete für 15 Quadratmeter möbliertes Zimmer zahlte, wenn es sich sonst um nichts mehr kümmern musste. „Die WG ist ein Sammelbecken für junge Besserverdienende. Mit TV-Lounge, Sauna und Fitnessraum“, hieß es in der Doku. Düsseldorf sei dabei oft nur „ein Zwischenstopp von vielen“.

Auch in Thiedes WG versammelten sich vor allem diejenigen, die keinen großen Bezug zur Region hatten. Er, der nach acht Jahren in Bayern wieder in die Nähe seiner Heimat zog, bildete da eher die Ausnahme. „Es ging darum, einen Ankerpunkt zu generieren.“ Ansonsten habe die Bewohner:innen der Augusta- und der Gneisenaustraße bis auf die Lage in Pempelfort gar nicht so viel geeint. „Wir waren eher die Shabby-Chic-Variante.“ An der Gneisenaustraße sei die Manager- und Pilotendichte deutlich höher gewesen. Eingezogen wäre er dort nie: zu viel Elitenbildung, zu viel Anonymität. Wie es in der verbliebenen Groß-WG aussieht, hätte ich mir für diesen Text gerne angesehen. Doch der Betreiber reagierte trotz mehrfacher Versuche nicht auf meine Anfragen.

Immerhin kann Tim Thiede aus seinen Erfahrungen an der Augustastraße berichten. Von der Whatsapp-Gruppe mit allen aktuellen Mitbewohnern und den WG-Meetings, die alle vier bis sechs Wochen stattfanden – inklusive Einladung und Protokoll mit Tagesordnungspunkten. Darin ging es um Klassiker wie Müll- und Küchendienste, aber auch um Geburtstage und Krisen innerhalb der Gemeinschaft. „Das tolle war die Selbstverwaltung“, sagt Thiede. Zwar habe es eine Community-Managerin gegeben, die die Verträge rumschickte. Doch wie voll die WG war und wer da wohnte, hätten sie selbst entschieden. „Die Managerin wusste nicht so 100-prozentig, wer da alles ist.“

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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