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Vallourec: Noch 1000 Menschen brauchen einen neuen Job

Mitte Oktober wird in Rath das letzte Rohr gewalzt, Ende des Jahres der Betrieb ganz eingestellt. Doch Abschied und Übergang fallen vielen schwer.
Veröffentlicht am 23. August 2023
Vallourec
Markus Luigs hat mit seiner Kamera die Vallourec-Werke in Düsseldorf-Rath und Mülheim-Styrum acht Mal besucht und einen Bildband gestaltet, der nun erschienen ist.

Es ist das letzte Fest seiner Art. Und ist der Versuch eines Kunststücks – des Kunststücks keine Trauerfeier zu veranstalten, obwohl vielen zum Heulen zumute ist und manche auch wirklich weinen. Um das hinzukriegen, hat der Betriebsrat des Röhrenherstellers Vallourec das Sommerfest am vergangenen Samstag unter das Motto „Danksagung an uns alle“ gestellt. Die Gäste sollen stolz auf 130 Jahre Unternehmensgeschichte sein, die sie mit ihrer Arbeit ermöglicht haben, und froh über die gemeinsame Zeit.

Mehr als 2000 Menschen sind gekommen, manche von ihnen haben im Laufe der letzten Monate bei Vallourec aufgehört, andere sind schon lange in Rente, und ein großer Teil ist immer noch in den Werken in Düsseldorf-Rath oder Mülheim an der Ruhr beschäftigt. Der Betriebsratsvorsitzende Vilson Gegic ermuntert sie in seiner kurzen Rede, an diesem Tag nicht zu trauern, sondern gute Gespräch zu führen, Revue passieren zu lassen, was man in den Jahren erlebt hat, und sich bewusst zu machen, dass man die verbleibende Zeit bei Vallourec dringend nutzen muss, um eine neue berufliche Perspektive zu finden.

Der Montag nach dem Fest wirkt deutlich trauriger. Auf dem Parkplatz des Werks in Rath sind viel mehr leere Stellen als Autos zu sehen. Die Zahl der Mitarbeiter:innen sinkt nun zu jedem Ersten eines Monats. Bis jetzt haben 460 Beschäftigte an beiden Standorten einen Aufhebungsvertrag unterschrieben. Sie sind schon gegangen oder werden bald gehen. Rund 500 weitere Angestellte werden das Altersübergangsmodell nutzen, also bis zu ihrer Rente keinen neuen Job mehr brauchen. 313 Menschen werden im kommenden Jahr noch auf dem Gelände arbeiten, um die Maschinen und Anlagen zurückzubauen. Das bedeutet unter dem Strich: Noch gut 1000 Vallourec-Beschäftigte brauchen einen neuen Job.

Wer bis Jahresende nichts gefunden hat, dem empfiehlt der Betriebsrat in die Transfergesellschaft zu wechseln. Dann ist man zwar nicht mehr bei Vallourec angestellt, sondern bei der Transfergesellschaft, aber man erhält noch 85 Prozent seines vorherigen Gehalts. Müsste man sich arbeitslos melden, wären es nur 67 Prozent der früheren Summe.

Das Unternehmen Vallourec hat ein großes Interesse daran, die Zahl der Menschen, die in die Transfergesellschaft gehen, so gering wie möglich zu halten. Nur so hält es die Ausgaben für die Gesellschaft gering. Deshalb kümmert sich Vallourec in den kommenden Wochen darum, anderen Unternehmen die eigenen Mitarbeiten zu vermitteln: Für den 9. September ist eine Jobbörse in der Mitsubishi Electric Halle an der Siegburger Straße geplant. Dort können die Beschäftigten rund 70 Stände von möglichen neuen Arbeitgebern besuchen. In Mülheim gibt es ein ähnliches Angebot in der Woche darauf.

Auf die Jobbörsen folgt ein weiterer Termin, der allen Beteiligten vor Augen führt, dass es Zeit für die Suche nach einem neuen Job wird. Voraussichtlich Mitte Oktober wird in Rath das letzte Rohr gewalzt. Dann endet eine Geschichte, die unter dem Namen Mannesmann im 19. Jahrhundert begann (mein Kollege Hans Onkelbach hat sie hier beschrieben).

Der Betriebsrat hat für die Transfergesellschaft und deren sicherer Finanzierung (sollte Vallourec Deutschland Insolvenz anmelden, muss der französische Mutterkonzern einspringen) aus zwei Gründen gedrängt:

  1. Diejenigen, die bis zum 1. Januar keinen neuen Job finden, haben noch bis zu zwölf Monate finanzielle Sicherheit.
  2. Die Transfergesellschaft kann die Betroffenen intensiv betreuen und zwar in einem Maße, das die Agentur für Arbeit schlicht nicht leisten kann. Zum Hintergrund: Die Beschäftigten fahren nicht mehr jeden Tag in den Betrieb. Die Transfergesellschaft hat aber Büros, in denen zum Beispiel Einzel- und Gruppengespräche stattfinden, die für Weiterbildungen oder Bewerbungen benötigt werden. Die Büros werden an Punkten eröffnet, die möglichst nah an den Wohnorten der meisten Beschäftigten der Transfergesellschaft liegen.

Voraussichtlich werden vor allem zwei Gruppen von Beschäftigten die Transfergesellschaft brauchen: Das sind zum einen Menschen, die ihr Arbeitsleben lang bei Vallourec waren, nie groß krank waren und deshalb eine heftige Umstellung vor sich haben. Bei vielen von ihnen fürchtet der Betriebsrat, dass sie erst einmal in ein Loch fallen und Zeit brauchen, um neue Gewohnheiten zu entwickeln und zu akzeptieren.

Die andere Gruppe bilden Mitarbeiter:innen, die einst eine Ausbildung zum Facharbeiter gemacht haben, sich dann aber auf die Führung einer Maschine oder Anlage spezialisierten, an der sie dann über viele Jahre bis heute im Einsatz waren. Sie brauchen Fortbildungen und Umschulungen, um wieder einen Job zu finden, in dem sie zumindest ein ordentliches Gehalt bekommen und nicht nur eines knapp über Mindestlohn.

An der Einfahrt zum Werksgelände in Rath hängt ein Banner. Darauf steht „Vallourec kann gehen – wir bleiben“. Der Slogan beschreibt eine Hoffnung, die viele Betroffene lange hatten und zum Teil immer noch haben: dass ein anderes Industrie-Unternehmen das Gelände kauft und viele ehemalige Vallourec-Beschäftigte an vertrauter Stelle einen neuen Job finden. Eine Fabrik des Waffenherstellers Rheinmetall war dafür zum Beispiel im Gespräch. Nach allem, was ich gehört habe, bot das Unternehmen aber einen so geringen Kaufpreis und forderte so umfangreiche Unterstützung von Stadt und Land, dass es an der Ansiedlung fast noch verdient hätte. Deshalb kam dieser Deal nicht zustande.

Vallourec hat nach verschiedenen Aussagen einen Interessenten: ein Logistik-Unternehmen, das viel Fläche braucht, darauf aber verhältnismäßig wenig Arbeitsplätze schafft. Die Stadt lehnt dies ab, weil sie die Industrie-Arbeitsplätze an der Stelle erhalten möchte. Im Zweifel kann Düsseldorf den Verkauf an den Logistiker unterbinden, indem es von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht. Damit läuft beim Vallourec-Gelände nun alles auf eine Frage zu: Wer muss seinem Druck als erstes nachgeben: Vallourec, weil es die Einnahmen aus dem Grundstücksverkauf benötigt, oder die Stadt, weil ein weiteres Gelände brach liegt?

Nach meiner Einschätzung hat die Stadt die bessere Verhandlungsposition. Aber eine Antwort auf die Frage wird für die noch hoffenden Vallourec-Mitarbeiter:innen zu spät kommen – nämlich erst, wenn sie ihre Sommerfeste schon woanders feiern.

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Das Foto zu dieser Geschichte stammt aus dem Bildband „Werkschau – Ein fotografischer Besuch bei Vallourec in Düsseldorf und Mülheim“, den Markus Luigs herausgegeben hat. Es enthält 286 Fotos auf 246 Seiten. Der Band kostet 40 Euro und kann hier bestellt werden.


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